Zur Bedeutung der Archäobotanik in der archäologischen Forschung

Von Susanne Jahns, Hans-Peter Stika, Jörg Christiansen, Maria Knipping und Dirk Sudhaus

Grundsätzliche Aspekte

Die Archäobotanik ist ein wichtiger Bestandteil der modernen archäologischen Forschung. Pflanzenreste liefern unter anderem Aufschluss über die folgenden Bereiche:

  • Wirtschaftsweise (Ackerbau, Sammelwirtschaft)
  • Bauweise (Holz, Holzkohle)
  • Handwerk (Holz, Holzkohle, Pflanzenfasern, Färbepflanzen u.v.a.m.)
  • Ernährungsweise (Ressourcen, Esskultur)
  • Heilpflanzen
  • Umwelt und Klima

Botanische Reste, zum Beispiel Samenkörner, Früchte, Holz und Holzkohle, werden zum einen bei Ausgrabungen geborgen. Zum anderen zählen Pollenkörner aus geeigneten Ablagerungsstätten („Pollenarchiven“) dazu. Da Pflanzenreste häufig die einzigen Informationsquellen zu den oben genannten Bereichen darstellen, sind sie, dieser Bedeutung entsprechend, laut § 2 (2) 4 des Denkmalschutzgesetzes des Landes Brandenburg als bewegliche Bodendenkmale geschützt.

Die Bergung von Pflanzenresten ist demgemäß in den Richtlinien zur Grabungsdokumentation des Brandenburgischen Landesamts für Denkmalpflege und Archäologischem Landesmuseum vorgeschrieben (Kapitel III, 1).

Erhaltungsbedingungen für Pflanzenreste

Botanische Reste erhalten sich zum einen in feuchten Sedimenten (Brunnen, Latrinen, Gräben u.a.). Dort sind sie häufig in großer Dichte zu finden. In 1-2 Litern Sediment sind durchschnittlich mehr als 1000 Samen und Früchte enthalten. Darum ist aus solchen Befunden die Entnahme von großen Proben nicht notwendig.

Anders stellt sich die Befundlage in Trockenböden dar. Die Pflanzenreste erhalten sich hier, wie auch Holzkohle, nur im verkohlten Zustand, d.h. unvollständig verbrannt. Wie die Holzkohle, sind auch solche verkohlten Samen, Früchte, Druschreste, etc. gut bestimmbar. Da trockene Böden häufiger sind als Feuchtablagerungen, sind diese verkohlten Pflanzenreste von großer Wichtigkeit bei der Makrorest-Analyse. In den meisten Gegenden stellen sie den größeren Teil des Materials. Dieser Aspekt wird von Archäologen oft übersehen. Verkohlte Pflanzenreste sind zumeist nicht in so großer Menge im Sediment enthalten, wie bei Feuchtablagerungen. Sie sind deshalb in der Regel in Grabungsprofilen oder Grubenfüllungen, obwohl vorhanden, nicht ohne weiteres zu erkennen. Erst beim Schlämmen des Sediments sind sie zu finden.

Methodisches

Um Pflanzenmaterial in statistisch relevanter Menge aus Trockenböden zu gewinnen, sind größere Probenvolumina von nicht weniger als 10 Litern notwendig, es sei denn, es ist nicht genug Material vorhanden, wie z.B. bei Proben aus Pfostenlöchern. Dann muss man sich notgedrungen mit kleineren Volumina zufrieden geben.

Es ist unbedingt zu beachten, dass beim Schlämmen solcher Proben Siebe mit geeigneter Maschenweite verwendet werden, damit auch kleine Samen erfasst werden. Die Netzmaschen dürfen auf gar keinen Fall weiter als 0,3 mm bei Feuchtboden- und 0,5 mm bei Trockenbodenproben sein.

Das Ziel ist immer eine zeitlich und räumlich möglichst repräsentative Beprobung, die Aussagen über die Pflanzenverwendung in einer Siedlung ermöglicht. Dazu ist es notwendig, alle relevanten Befunde, wie zum Beispiel Gruben, Pfostenlöcher, Herdstellen, Speicher, zu beproben. Nur bei einer größeren Anzahl von botanischen Proben, sind belastbare Ergebnisse zu erwarten.

Pollenkörner findet man ausschließlich in feuchten Ablagerungen (z.B. Seen, Moore, Brunnen, Latrinen, Gräben). Im Trockenboden gibt es keine Pollenerhaltung.

Pollenkörner

Abb. 1:
Pollenkörner von Eiche, Birke und Hainbuche. Foto: Susanne Jahns.

Beispiele für archäobotanische Untersuchungen aus dem Land Brandenburg

Im Folgenden sollen die Ergebnisse von zwei Projekten aus Brandenburg kurz vorgestellt werden, die als Beispiel für vorbildliche botanische Untersuchungen dienen können. In beiden Fällen konnten mit Hilfe von sowohl Makrorest- als auch Pollenanalysen Erkenntnisse zu Ackerbau, Pflanzenverwendung und zur Umwelt mittelalterlicher Siedlungen gewonnen werden.

1. Beispiel: Die jungslawische Burg Lenzen (Lkr. Prignitz), Feuchtbodenerhaltung

Die jungslawische Burg Lenzen liegt an der unteren Mittelelbe in der westlichen Prignitz. Dort waren die Befunde in mächtigen feuchten Ablagerungen erhalten. Die Ausgrabung wurde von der Fa. Archäologie Manufaktur GmbH, Wustermark, durchgeführt, deren Mitarbeiter eine ausreichend große Anzahl von Proben zur Makrorest-Analyse entnahmen. Weiterhin wurde die gute Gelegenheit genutzt, aus den feuchten Siedlungsschichten ein on-site Pollenprofil zu entnehmen. Zusätzlich stand ein Bohrkern aus dem nahe gelegenen Rudower See zur off-site Pollenanalyse zur Verfügung.

Samenkörnerr

Abb. 2:
Feucht erhaltene Samenkörner aus der slawischen Burg Lenzen: a-h Saat-Hafer, i-j Spelzgerste, k-l Roggen, m-n Saat-Weizen, o-q Rispenhirse, r Lein. Foto: H.-P. Stika.

Ergebnisse der Makorestanalyse

Aus 90 Proben zur Makrorest-Analyse, die aus dem Burgwall und verschiedenen Siedlungsbefunden entnommen wurden, und die zum größten Teil sehr reichhaltig waren (insgesamt Reste von 93.239 Kulturpflanzen und 75.723 Wildpflanzen), konnten folgende Erkenntnisse gewonnen werden:

Bei den Nutzpflanzen haben Rispenhirse, Roggen und Hafer die größte Bedeutung, ihnen nachgeordnet sind Spelzgerste, Saatweizen und Lein. Hülsenfrüchte wie Ackerbohne, Erbse, Linse und Linsenwicke spielten in der Burg Lenzen keine große Rolle.

Eine große Aussagekraft zur Landwirtschaft kommt auch den Unkraut- und Grünlandarten zu, z. B. konnte die giftige Kornrade in Lenzen nachgewiesen werden. Zahlreiche Funde von Pflanzen feuchter Standorte und echten Wasserpflanzen lassen neben ihrer Information zur Vegetation der Elbaue in damaliger Zeit, auch Rückschlüsse auf den Bau der Befestigung zu. Diese Pflanzen sind nämlich mit der Verfüllung der Kästen des Burgwalls mit Schlamm und Sand aus der nahe gelegenen Elbaue in die Burg geraten.

On-site und Off-site Pollenuntersuchungen in und bei der Burg Lenzen

Das on-site Pollendiagramm aus den Siedlungsschichten der Burg Lenzen zeigt, dass im 10. Jahrhundert in der direkten Umgebung der Burg noch viel Wald vorhanden war. Durch andauernde Nutzung während des Bestehens der Burg wurde er allmählich in seiner Fläche reduziert.

Pollendiagramm

LupeDiagramm 1
Vereinfachtes Pollendiagramm aus den Siedlungsschichten der slawischen Burg Lenzen

Gleichzeitig wurde im direkten Umland der Burg in stärkerem Ausmaß Landwirtschaft betrieben. Durch Übernutzung kam es zu einer spürbaren Bodenverarmung, die eine Ausbreitung von Heideflächen und Trockenrasen zur Folge hatte. Ihre größte Ausdehnung hatten diese in der dritten Befestigungsphase der Burg im 12. Jahrhundert. In dieser Zeit war die nähere Umgebung der Lenzener Burg fast völlig entwaldet. Das off-site Pollendiagramm vom Rudower See verdeutlicht aber, dass dies nicht auf die weitere Umgebung zutraf, denn große Waldbestände blieben während der gesamten Slawenzeit erhalten. Erst im Zuge der deutschen Ostexpansion wurde der Wald bei Lenzen großflächig gerodet und in Kulturland umgewandelt.

Off-site Pollendiagramm

LupeDiagramm 2
Off-site Pollendiagramm aus dem Rudower See bei Lenzen

Ein Vergleich der beiden Methoden

Die pollenanalytischen Untersuchungen sowohl an den Siedlungsschichten, als auch am Rudower See, liefern in erster Linie Erkenntnisse zum Siedlungsverlauf und den Folgen der Bautätigkeit und Landwirtschaft auf die Vegetationsbedeckung. In zweiter Linie geben sie auch Aufschluss über die Kulturpflanzengeschichte. In den Siedlungsschichten wurden naturgemäß deutlich mehr Pollen von Kulturpflanzen und Unkräutern nachgewiesen als in den Ablagerungen des Rudower Sees. Ein Vergleich dieses Befundes mit den Ergebnissen der Makrorestanalysen aus der Lenzener Burg zeigt aber, dass die Pollenanalysen nicht die gleiche Aussagekraft bezüglich des Anbaus und der Nutzung von Kulturpflanzen bieten, wie die Untersuchung der Makroreste. Kulturpflanzen lassen sich in der Regel besser als Makrorest erfassen. Die Pollenkörner stammen überwiegend von windblütigen Pflanzen, die insektenblütigen Arten, wie zum Beispiel sämtliche Hülsenfrüchte und der Lein, sind sehr stark unterrepräsentiert. Zumeist sind Pollenkörner auch nicht zur Art bestimmbar. Pollendaten erbringen dafür andere wichtige Informationen, wie zur Bewaldung einer Gegend oder zur Ausdehnung von Grünland und Ackerflächen.

Dennoch ist die Pollenanalyse auch für die Kulturpflanzengeschichte eine wichtige Methode. So konnten für die Burg Lenzen mit Hilfe der Pollenanalyse auch Arten, wie beispielsweise Buchweizen, nachgewiesen werden, die als Makrorest nicht gefunden wurden.

Pollen und Makoreste ergänzen sich also gegenseitig in ihrem Informationsgehalt.

2. Beispiel: Das hochmittelalterliche Dorf Diepensee, Lkr. Dahme-Spreewald, Trockenboden

Das Dorf Diepensee liegt südöstlich von Berlin. Die Ausgrabung des mittelalterlichen Dorfes wurde vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischem Landesmuseum im Rahmen des Baus des Flughafens „Berlin Brandenburg International“ durchgeführt. Im Gegensatz zur slawischen Burg Lenzen gab es hier keine Feuchterhaltung, so dass kein on-site Pollenprofil zur Verfügung stand. Hier musste auf Profile aus einer nahe gelegenen feuchten Rinne zurückgegriffen werden.

Aus der Grabung Diepensee standen 260 Proben aus Trockenboden für die Makrorestanalyse zur Verfügung, die mehr als 10.000 Nutzpflanzenreste erbrachten. Diese lagen ausschließlich im verkohlten Zustand vor. Die Analyse ergab, dass der Roggen das am häufigsten verwendete Getreide im mittelalterlichen Diepensee war, aber auch Spelzgerste, Hafer und Saatweizen von Bedeutung waren. Besonders der letztere zeigt das Vorhandensein von Böden besserer Güte in der Nähe des Dorfes an.

Verkohlte Samenkörner

Abb. 3
Verkohlte Samenkörner des Schlafmohns aus einem Keller des mittelalterlichen Dorfes Diepensee. Foto: Susanne Jahns

Überhaupt deuten die Pflanzenfunde durchaus auf einen gewissen Reichtum des Dorfes hin. Neben Weinanbau konnte auch der Import von luxuriösen Feigen nachgewiesen werden, sowie mit Hilfe eines Fundes von Gerstenmalz die Bierbrauerei. Funde von Faser- und Färbepflanzen ermöglichten die Lokalisierung der Textilverarbeitung im Dorf. Vermehrtes Vorkommen von dunkel färbenden Holundersamen in der Nähe von Gerbergruben könnten einen Hinweis auf das Färben von Leder geben.

Die Bedeutung von Roggen und Faserpflanzen (Hanf und Lein) werden auch durch das Pollendiagramm aus der benachbarten Kienberger Rinne widergespiegelt. Es zeigt auch deutlich die starke Entwaldung der Gegend nach 1100.

Off-site Pollendiagramm 2

LupeDiagramm 3
Off-site Pollendiagramm aus dem südlichen Ausläufer der Kienberger Rinne bei Diepensee

Als Fazit ist festzuhalten:

Je systematischer die Beprobung für pflanzliche Makoreste bei einer archäologischen Ausgrabung durchgeführt wird, desto genauer wird das Bild der Pflanzennutzung und der Umgebungsvegetation.

Die verschiedenen Methoden, Makrorest-, Pollen- und Holz/Holzkohlen-Analyse führen jede für sich zu Ergebnissen, die sich zum Teil überschneiden, zum größeren Teil aber ergänzen. Keine dieser Methoden kann als Ersatz für die anderen dienen. Nehmen Sie also ungehemmt Proben, im geschlämmten Zustand kann man sie einfach, langfristig und Platz sparend lagern und sie können noch viele Jahre nach ihrer Entnahme interessante Ergebnisse liefern.