Anthropologische Qualitätsstandards II: Von der Ausgrabung zum Bericht

Von Bettina Jungklaus

1. Einführung

Knochen und Zähne gehören zu den dauerhaftesten Geweben des menschlichen Körpers, die im Boden nicht nur Jahrzehnte, sondern unter günstigen Liegebedingungen Jahrhunderte bis Jahrtausende überdauern können. Werden menschliche Überreste bei archäologischen Grabungen gefunden, sollten sie auch immer naturwissenschaftlich analysiert werden, denn damit kann eine Vielzahl biologischer Informationen über Menschen vergangener Zeiten gewonnen werden (Herrmann & Schutkowski 1995). Die Skelettfunde stellen biohistorische Urkunden dar, die häufig sehr differenziert über Einzelheiten eines vergangenen Lebens berichten (Schultz & Schmidt-Schultz 2006). Die Geschichtsschreibung - falls es sich um ein Zeitalter mit schriftlicher Überlieferung handelt - kann meist nur wenig über das Leben der einfachen Menschen aussagen, auch archäologische Funde beleuchten lediglich einige Aspekte des Alltags, deshalb sind anthropologische Untersuchungen von besonderer Bedeutung für die Forschung.

2. Spektren anthropologischer Untersuchungen

Um ein möglichst genaues Bild von Bevölkerungsstrukturen und Lebensumständen vorindustrieller Populationen zu gewinnen, ist es die Aufgabe eines Anthropologen mit einer Vielzahl von Fragestellungen an die Untersuchung von Skelettindividuen heranzugehen (Kaufmann 1989). Die Bestimmung der Individualdaten sowie eine paläopathologische Analyse stellen die wichtigsten Stützpfeiler für die Rekonstruktion einer Bevölkerung und der damaligen Umweltbedingungen dar (Schultz 1982). Die Einzelergebnisse können zu Kollektivdaten verknüpft und zu Bevölkerungsabbildern zusammen gefügt werden (Herrmann et al. 1990). Die anschließende Interpretation der Daten unter paläodemographischen Gesichtspunkten erlaubt Rückschlüsse auf die Lebensbedingungen der Menschen (Grupe et al. 2005). Wichtige Aspekte sind dabei u. a. die Alters- und Geschlechterverteilung und die Höhe der Kindersterblichkeit (Wahl 2007). Die Lebensumstände beeinflussen vor allem das Auftreten und die Verbreitung von Krankheiten; deshalb stellen paläopathologische Untersuchungen an Skelettfunden eine wichtige Grundlage zur Rekonstruktion der Lebenssituation dar (Schultz 1982). Kinder sind als anfälligster Teil einer Bevölkerung am stärksten von ungünstigen Lebensbedingungen betroffen (Schultz 2001a). Deren Krankheitsbelastung kann als Indikator für die Gesamtpopulation gewertet werden (Mensforth et al. 1978).

Je nach Zielsetzung und Fragestellung der Untersuchungen sollte die Erhebung verschiedenster Parameter erfolgen. Neben einer Bestandsaufnahme, die die Vollständigkeit und den Erhaltungszustand der menschlichen Überreste bzw. des Skeletts beinhaltet, werden die Individualdaten erhoben, wozu Sterbealter, Geschlecht und Körperhöhe zählen. Eine Vermessung der Knochen und die Aufnahme anatomischer Varianten ergänzen die Informationen. Die Krankheitsbelastung eines Einzelnen oder einer Population gibt Einblicke in die Lebensumstände. Deshalb gehört eine detaillierte Befundung und systematische Aufnahme der krankhaften Veränderungen (Abb. 1) inklusive einer Fotodokumentation zu jeder anthropologischen Untersuchung. Der Zustand des Gebisses kann Hinweise auf die Ernährung liefern, degenerative Veränderungen der Gelenke und Wirbel lassen auf die Arbeitsbelastung schließen. Spuren von Infektionserkrankungen können Auskunft über hygienische Verhältnisse und die Wohnsituation geben; Mangelerkrankungen zeichnen ein Bild der allgemeinen Ernährungslage. Einblicke in die Risiken des Alltags und auf interpersonelle Gewalt erschließen sich aus Verletzungen und Traumata, allerdings lässt sich die Todesursache nur in seltenen Fällen feststellen.

Skelett-Untersuchung

Abb. 1:
Makroskopische Untersuchung eines Skeletts (Foto B. Jungklaus)

Zunehmend gewinnen archäometrische Untersuchungen an Bedeutung. Dazu zählen die Analyse stabiler Isotope zur Rekonstruktion der Ernährungslage und der geografischen Herkunft oder der aDNA zur Bestimmung des Geschlechts und der Verwandtschaft sowie der genetischen Herkunft eines Individuums. Verschiedene medizinische Verfahren dienen der Diagnose von Erkrankungen, so Röntgen, Licht- und Rasterelektronenmikroskopie, Computertomographie oder endoskopische Untersuchungen. Darüber hinaus lässt sich mithilfe von Lichtmikroskopie und Zahnzementannulation das Sterbealter einer Person bestimmen.

2.1 Paläodemographische Aspekte

In der Paläodemographie werden Umfang, Aufbau und Entwicklung von vor- und frühgeschichtlichen Populationen untersucht (Drenhaus 1992). Ein wichtiges Ziel besteht in der Rekonstruktion der Lebendbevölkerung (Herrmann et al. 1990). Da meist keine schriftlichen Überlieferungen, wie beispielsweise Kirchenbücher vorliegen, versucht die Paläodemographie Informationen über Dichte, Entwicklung und Verteilung einer Population anhand von (prä)historischen Skelettfunden zu gewinnen. Dabei müssen Vollständigkeit und chronologische Datierung des Gräberfeldes gewährleistet sein. Teilgrabungen und unvollständig erschlossene Bestattungsplätze sind aus paläodemographischer Sicht weitgehend unbrauchbar. Eine große Bedeutung kommt einer möglichst genauen Sterbealterbestimmung der einzelnen Individuen zu. Dabei ist zu bedenken, dass jeweils das biologische und nicht das chronologische Sterbealter ermittelt wird, was die Aussagekraft paläodemographischer Ergebnisse relativiert (Drenhaus 1992). Auch die Ermittlung des Geschlechts und weiterer Charakteristika (z. B. pathologische Merkmale) sind von Bedeutung. Die an den einzelnen Skeletten erhobenen Individualdaten werden zusammengefasst und beschreiben zunächst die "Bevölkerung der Verstorbenen", um daraus Rückschlüsse auf die Lebensbedingungen der Lebenden ziehen zu können. Grundsätzlich stellt sich dabei immer die Frage, ob die Skelettserie sämtliche Gestorbenen der Population umfasst oder sie zumindest repräsentiert.

2.2 Paläopathologische Aspekte

Eine Reihe von Erkrankungen hinterlassen am Knochen typische Veränderungen, die auch noch nach Jahrhunderten nachzuweisen sind. Die meisten Knochenerkrankungen lassen sich zuverlässig bestimmen, wenn alle diagnostischen Möglichkeiten in Anspruch genommen werden. Auch viele Weichteilerkrankungen hinterlassen charakteristische Spuren am Skelett, doch sind der Paläopathologie hier bei der Diagnose auch Grenzen gesetzt, da nur ein einzelnes Organsystem, nämlich das Stützgewebe beurteilt werden kann. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, dass an mazeriertem Skelettmaterial lediglich morphologische Veränderungen bestimmt und beurteilt werden können, die meist nur wenig über das klinische Krankheitsbild aussagen (Schultz 1993). So lässt sich bloß ein Teil der Krankheiten erschließen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens durchgemacht hat (Scheidegger 1984). Für die Beurteilung des Gesundheits- bzw. Krankheitsstatus eines Individuums oder auch einer ganzen Population stellt sich der Schädel als aussagefähigster Teil des menschlichen Skeletts dar (Schultz 1993).

3. Untersuchung der Skelette aus dem Massengrab von Wittstock

Die Spektren und Potentiale anthropologischer Untersuchungen von der Ausgrabung zum Bericht sollen im Folgenden an einem konkreten Beispiel, dem des Massengrabes von Wittstock aus dem Dreißigjährigen Krieg vorgestellt werden: Massengräber aus historischen Perioden faszinieren Laien und Fachwissenschaftler gleichermaßen. Durch sie wird fast immer der Moment einer Katastrophe, sei er durch Seuchenzüge, Naturgewalten oder aber kriegerische Ereignisse hervorgerufen, noch einmal im Angesicht der Opfer fassbar. Das Massengrab von Wittstock ist ein Glücksfall für die Forschung, denn hier wurde erstmals für den Dreißigjährigen Krieg eine bis zur Auffindung unversehrte Grablege von Soldaten aus einer Schlacht entdeckt und mit modernen archäologischen und anthropologischen Methoden untersucht (Grothe & Jungklaus 2009).

Die Erforschung des Wittstocker Massengrabes begann im Frühjahr 2007 mit einem Zufallsfund. Ein Kiesgrubenbesitzer meldete den Fund menschlicher Knochen beim Kiesabbau vor den Toren der Stadt Wittstock. Die vom Bagger aus ihrem Zusammenhang gerissenen Knochen wurden aufgesammelt. Eine Sichtung sowie Sicherung des Befundes erfolgte durch das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum. Die erste anthropologische Begutachtung der Sammelknochen erbrachte eine Verbindung zur Schlacht von Wittstock vom 4. Oktober 1636. Dieser zufälligen Entdeckung folgte einige Wochen später die von Anfang an interdisziplinär angelegte Ausgrabung durch die Archäologin A. Grothe und die Autorin (Grothe & Jungklaus 2008). Die anthropologische Grabungsbegleitung war hier besonders wichtig, da die Freilegung, Beschreibung und Bergung der dicht an dicht und direkt aufeinander liegenden Skelette fundierte anatomische Kenntnisse erforderte (Abb. 2). Weiterhin wurden schon vor Ort erste anthropologische Daten aufgenommen, so eine Einschätzung der Individualdaten und eine Aufnahme von auffälligen, insbesondere traumatischen Veränderungen.

Schädel

Abb. 2:
Vorsichtige Bergung eines Schädels aus dem Wittstocker Massengrab (Foto A. Grothe, BLDAM)

Nach der Bergung und Säuberung, sind alle 125 Skelette aus dem Grab unter verschiedensten Gesichtspunkten naturwissenschaftlich analysiert worden. Dabei stand die Beantwortung zweier Fragen im Vordergrund: Wie lebten die Söldner bzw. Soldaten während des Dreißigjährigen Krieges? Welche Verletzungen erlitten sie in der Schlacht von Wittstock? Die Untersuchung der Skelette begann mit der Bestimmung der Individualdaten Geschlecht, Sterbealter und Körperhöhe. An diese grundlegende Befundung schlossen sich eine gezielte Aufnahme der krankhaften und traumatischen Skelettveränderungen an. Alle Informationen, die Rückschlüsse auf das Leben und Sterben der Soldaten ermöglichten, sollten gesammelt werden. Systematisch wurden der Zahnstaus sowie die Gelenk- und Wirbelveränderungen erfasst. Darüber hinaus wurden etliche spezielle Untersuchungen und Diagnoseverfahren durchgeführt [1]. Um die durchschnittliche Ernährungsweise zu rekonstruieren, sind neben der Kariesbelastung und den Schmelzabkauungen (Abb. 3), die stabilen Kohlenstoff- und Stickstoffisotope analysiert worden. Eine Messung der stabilen Strontium- und Sauerstoffisotope aus dem Zahnschmelz des ersten Dauermolaren ermöglichte es, die Herkunft bei etwa einem Drittel der Verstorben festzustellen (Grupe et al. 2012).

Zahnstümpfe

Abb. 3:
Kariöse Zahnstümpfe im Unterkiefer eines 20 bis 25-jährigen Schotten (Foto B. Jungklaus, BLDAM)

Die paläopathologische Diagnose lässt sich bei unklaren makroskopischen Befunden anhand von Knochendünnschliffen absichern, die unter dem Mikroskop betrachtet werden. Allerdings ist die mikroskopische Diagnostik von archäologischen Skelettfunden durch postmortale Zerstörungen und das Fehlen der sonst für die Histopathologie so aussagefähigen Strukturen (z. B. Weichteile, Zellen) erschwert (Schultz 1993). In der Anthropologie hat die Anwendung mikroskopischer Methoden mittlerweile ihren festen Platz gefunden (Schultz 1988). Besonders die Untersuchung im polarisierten Licht liefert wertvolle Ergebnisse, da sich die Struktur des Knochenkollagens hierbei im Allgemeinen deutlich darstellt (Schultz 1986, ders. 2001b). Bei den Wittstocker Söldnern konnte so in mehreren Fällen Syphilis nachgewiesen werden (Abb. 4).

Mikroskopisches Bild

Abb. 4:
Diagnose von Syphilis bei einigen Söldnern im mikroskopischen Bild (Foto M. Schultz)

Röntgenbild

LupeAbb. 5
Die in Fehlposition verheilte Unterschenkelfraktur ist im Röntgenbild deutlich zu erkennen (Foto B. Rehbock)

Bei der Beurteilung von Skeletterkrankungen ermöglicht das Röntgen die Auffindung und Bewertung von Veränderungen, die den strukturellen Aufbau des Knochens betreffen (Bessler 1979). An ausgewählten Skelettelementen wurde eine Röntgen-Reihenuntersuchung durchgeführt. Die Schienbeine aller Soldaten sind dabei systematisch auf Stressmarker (Harris-Linien) hin untersucht worden. Des Weiteren wurden die traumatologischen Befunde erfasst (Abb. 5).

An jedem Skelett erfolgte eine genaueste Betrachtung auf Spuren von unverheilten Verletzungen aus dem Kampfgeschehen. Äußere Gewalteinwirkungen hinterlassen am Knochen meist deutliche Spuren, deren Entstehung auch noch nach Jahrhunderten rekonstruiert werden kann (Wahl & König 1987). Speziell bei den Söldnern aus der Wittstocker Schlacht konnten Informationen zum Entstehen der einzelnen Verletzungen den Schlachtablauf genauer beleuchten. Nach dem Vorbild moderner Polizeiarbeit werden verschiedene Fragen zum Tathergang gestellt und die traumatologischen Analysen der einzelnen Verletzungen deckten die persönlichen Schicksale der Söldner auf (Jungklaus et al., in Vorbereitung).

Zeichnung

Abb. 6:
Ein mächtiger Hieb mit einer Reiteraxt verursachte eine tödliche Schädelverletzung (Zeichnung O. Blum, BLDAM)

Abschließend soll die Lebens- und Leidensgeschichte eines Soldaten geschildert werden. An ihm werden die Entbehrungen während des frühen 17. Jahrhunderts und die Brutalität der Wittstocker Schlacht eindringlich fassbar: Ein 21-24 Jahre alter Schotte fällt durch besonders viele Krankheitsspuren und schwere Verletzungen auf. Mit fast 1,80 m war er der größte Mann im Wittstocker Massengrab. In seinem fünften Lebensjahr verursachten Mangelernährung oder eine schwere Krankheit Störungen in der Zahnschmelzbildung, die noch heute als feine horizontale Rillen (Schmelzhypoplasien) zu sehen sind. Am Gebiss finden sich Zahnstein und Parodontose sowie Karies in zwei Zähnen des Oberkiefers. Die erbärmlichen Lebensbedingungen im Heerlager schwächten die Immunabwehr des jungen Mannes und führten zu Mangelerscheinungen und verschiedenen entzündlichen Erkrankungen. Poröse Veränderungen am harten Gaumen des Oberkiefers weisen auf eine Entzündung der Mundschleimhaut hin. Plaqueartige Auflagerungen am Boden beider Kieferhöhlen belegen eine chronische Entzündung der oberen Atemwege. Das Lebensumfeld war wohl von schlechter Luftqualität mit viel Rauch und feucht-kalten Unterkünften geprägt. Chronischer Vitamin D-Mangel, die so genannte Osteomalazie, erweichte den Knochen und führte anschließend zum Verbiegen der Schienbeine. Die zusätzliche Verdickung der Knochenschäfte resultierte vermutlich aus einer Entzündung der Knochenhaut, die massive Knochenneubildungen nach sich zog. Wahrscheinlich war dies eine Folge von schlecht sitzendem Schuhwerk, etwa dem beständigen Reiben der Stiefelränder am Unterschenkel während der langen Märsche. Die Schulter- und Hüftgelenke des noch jungen Mannes waren bereits mittelschwer degeneriert, was durch körperliche Überlastung hervorgerufen wurde; ob während seiner Dienstzeit oder bereits davor, bleibt jedoch ungewiss. An der Gelenkfläche des linken Sprungbeines hinterließ die Absprengung eines Knorpel-Knochenfragmentes einen lochartigen Defekt. Diese Gelenkerkrankung entstand durch kurzzeitige Überbelastung bei Drill, Marsch oder Kampf und verursachte starke Schmerzen.

In der Wittstocker Schlacht erlitt er mehrere schwere Verwundungen, wobei der zeitliche Ablauf ihrer Entstehung jedoch nicht sicher geklärt werden kann. Wahrscheinlich geschah Folgendes: Ein Schuss aus einer Reiterpistole traf den Mann von der rechten Seite her. Die Bleikugel blieb im oberen Bereich des rechten Oberarmknochens stecken. Die Wucht des Aufpralls führte neben den Weichteilverletzungen zu zahlreichen Berstungsbrüchen im Knochen und sprengte mehrere Fragmente ab. Obwohl stark verletzt, wurde der Söldner anschließend in einen Nahkampf verwickelt. Vermutlich der schwere Hieb mit einer Hellebarde durchdrang den Knochen an der rechten Schläfe mit großer Kraft, was zu einem langen Berstungsbruch entlang der rechten Schädelseite führte. Die offene Schädel-Hirnverletzung dürfte sofort zur Bewusstlosigkeit geführt haben, nicht zwangsläufig jedoch unmittelbar zum Tod. Der Verletzte fiel aufgrund der schweren Kopfverletzung augenblicklich zu Boden. Offensichtlich lag er auf dem Rücken, als ihn dann ein Dolchstich in die Kehle traf. Der Dolch durchdrang den Hals von vorne, durchtrennte die Luft- und Speiseröhre und sprengte am zweiten Halswirbel den zentral gelegenen Wirbelfortsatz ab. Diese Verletzung war mit Sicherheit tödlich. Zum Schluss traf den am Boden liegenden Verstorbenen ein weiterer massiver Schlag oder Tritt von vorn auf den Unterkiefer. Daraufhin zerbarst der Knochen in drei Teile. Wie viel Zeit zwischen den einzelnen Angriffen lag, bleibt jedoch im Dunkeln der Geschichte verborgen.

Die umfangreichen Ergebnisse der Untersuchungen an den Wittstocker Söldnern werden in einer Sonderausstellung des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum präsentiert und in einem Begleitbuch (Eickhoff et al. 2012) vorgestellt.

4. Gründung der AG "Freiberufliche Osteoanthropologen" (AFOA)

Wie die archäologische hat auch die anthropologische Forschung in den letzten Jahren einen Wandel erfahren. Die inhaltliche Umstrukturierung und Reduktion universitärer Einrichtungen hat zur Entstehung eines neuen Berufsbildes geführt: dem des freiberuflich arbeitenden Anthropologen. Der Bedarf, insbesondere für die anthropologische Begutachtung menschlicher Überreste, wird inzwischen weitgehend von Freiberuflern gedeckt. Da "Anthropologe" kein geschützter Berufsbegriff ist und sich deshalb jeder so bezeichnen kann, hat sich innerhalb der Gesellschaft für Anthropologie (GfA) die AG "Freiberufliche Osteoanthropologen" (AFOA) gegründet. Die AFOA ist ein Zusammenschluss von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen, die auf dem Gebiet der (prä-)historischen Anthropologie tätig sind und sich als eigenständige Forscher verstehen. Ihre Ziele sind mit folgenden Stichworten umschrieben: Erarbeitung von Standards in der Skelett- und Leichenbrandbefundung; Etablierung von praktikablen Untersuchungsmethoden; Erfahrungsaustausch unter freiberuflichen Anthropologen; stärken von deren Position als eigenständige Forscher; Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit mit Nachbarfächern, insbesondere der Archäologie, Medizin, Geologie, Botanik, Zoologie u. a.

Gegenstand osteoanthropologischer Arbeit ist die Untersuchung von menschlichen Überresten aus (prä-)historischen Epochen. Im Idealfall ist der Anthropologe bereits an der Ausgrabung beteiligt, da Erfahrungen gezeigt haben, dass wichtige Informationen bereits vor Ort gewonnen werden bzw. ohne fachliche Begleitung unwiederbringlich verloren gehen können. Je nach Zielsetzung und Fragestellung der Untersuchungen wird die Erhebung verschiedenster Parameter empfohlen (Jungklaus & Berszin 2012). Weitere Hinweise und Informationen dazu gibt die Homepage der Gesellschaft für Anthropologie. Um eine gleich bleibend hohe Qualität seriöser anthropologischer Arbeit zu gewährleisten, fühlen sich alle Mitglieder der AFOA einem gemeinsamen Kodex verpflichtet. Dieser enthält u. a. das Arbeiten nach den aktuellen wissenschaftlichen Standards, eine ständige Weiterbildung z. B. bei Tagungen oder Fachtreffen sowie die Kalkulation von Honoraren in auskömmlicher und seriöser Weise. Regelmäßig finden Treffen der AG statt, in den ausführlich über Methoden und aktuelle Themen diskutiert wird.
[ Homepage der Gesellschaft für Anthropologie ]

Literatur

Bessler, W. (1979): Allgemeine Röntgensymtomatik des pathologischen Skeletts. In: Schinz, H. R. et al. (Hrsg.): Lehrbuch der Röntgendiagnostik, Band II, Teil 1 Skelett (6. neubearbeitete Auflage). Thieme, Stuttgart. 213-277.

Drenhaus, U. (1992): Methoden der Paläodemographie. In: Knußmann, R. (Hrsg.): Wesen und Methoden der Anthropologie. Band 1, 2. Teil. Fischer Stuttgart. 602-616

Eickhoff, S., Grothe, A. & Jungklaus, B. (2012): 1636 - ihre letzte Schlacht. Leben im Dreißigjährigen Krieg. In: Eickhoff, S. & Schopper, F. (Hrsg.), Theiss, Stuttgart.

Grothe, A., & Jungklaus, B. (2008): Ein Massengrab aus dem Dreißigjährigen Krieg bei Wittstock - Archäologische und anthropologische Aspekte. Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, Bd. 29, 51-60.

Grothe, A., & Jungklaus, B. (2009): In Reih' und Glied - die Söldnerbestattungen von 1636 am Rande des Wittstocker Schlachtfeldes, archäologische und anthropologische Aspekte. In: Meller, H. (Hrsg.): Schlachtfeldarchäologie. Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 2, 163-171.

Grupe, G., Christiansen, K., Schröder, I., & Wittwer-Backofen, U. (2005): Anthropologie. Ein einführendes Lehrbuch. Springer, Berlin, New York, Heidelberg.

Grupe, G., Eickhoff, S., Grothe, A., Jungklaus, B., Lutz, A. (2012): Missing in action during the Thirty Years' War: Provenance of soldiers from the Wittstock battlefield, October 4, 1636. An investigation of stable strontium and oxygen isotopes. In: Kaiser, E., Burger, J., & Schier, W. (eds.): Population Dynamics in Prehistory and Early History. New Approaches Using Stable Isotops and Genetics. Topoi. Berlin Studies of the Ancient World, Vol. 5, De Gruyter, Berlin, 323-335.

Herrmann, B., Grupe, G., Hummel, S., Piepenbrink, H. & Schutkowski, H. (1990): Prähistorische Anthropologie. Springer Verlag. Berlin.

Herrmann, B., & Schutkowski, H. (1995): Das Skelett als Spiegel früherer Lebensumstände. Mitteilungen der DFG 4, 24-26.

Jungklaus, B., & Berszin, C. (2012): Die AG "Freiberufliche Osteoanthropologen" (AFOA) stellt sich vor. Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, Bd. 33.

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Kaufmann, B. (1989): Der Beitrag der Paläopathologie zur Geschichte des Mittelalters. In: Tauber, J. (Hrsg.): Methoden und Perspektiven der Archäologie des Mittelalters. Archäologie und Museum 20, 157-168.

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Schultz, M., & Schmidt-Schultz, T. (2006): Neue Methoden der Paläopathologie. In: Niemitz, C. (Hrsg.): Brennpunkte und Perspektiven der aktuellen Anthropologie. Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, Beiheft 1, 73-81 mit Tafeln.

Wahl, J. (2007): Karies, Kampf & Schädelkult. 150 Jahre anthropologische Forschung in Südwestdeutschland. Theiss, Stuttgart.

Wahl, J., & König, H. G. (1987): Anthropologisch - traumatologische Untersuchung der menschlichen Skelettreste aus dem Bandkeramischen Massengrab bei Talheim, Kreis Heilbronn. Fundberichte aus Baden-Württemberg 12, 65-193.

Anmerkungen

[1] An der Erforschung der Skelette aus dem Wittstocker Massengrab waren viele Wissenschaftler beteiligt, denen hier herzlich gedankt sei: Dr. S. Eickhoff (Historie), A. Grothe M.A. (Archäologie), Prof. G. Grupe (Archäometrie), Dr. H. G. König (Forensik), Dr. B. Rehbock (Röntgen), Dr. R. Schütt (Paläogenetik), Prof. M. Schultz (Paläopathologie) und Prof. J. Wahl (Traumatologie).