Schriften des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler, Band 2

Dokumentation und Innovation bei der Erfassung von Kulturgütern

Herausgegeben von Elisabeth Ida Faulstich und Andrea Hahn-Weishaupt

Platzhalter

Auf dem Weg zum digitalen Grabungsbericht

Fotogrammetrische Dokumentation auf archäologischen Ausgrabungen in Potsdam

Von Frank Richter

Seit 1995 betreut die Archäologie Manufaktur GmbH, eine brandenburgische Grabungsfirma mit Sitz in Wustermark, Ausgrabungsprojekte in Potsdam. Dabei werden seit 2001 auch fotogrammetrische Dokumentationsmethoden eingesetzt. Über die Erfahrungen, die dabei gewonnen werden konnten, soll hier berichtet werden.

Im genannten Zeitraum wurden in Potsdam etwa ein Dutzend Ausgrabungen durchgeführt. Dabei reichte das Spektrum von der kleinen Baubegleitung bis zur umfassenden Flächengrabung, hauptsächlich im Bereich des Stadtschlosses und des Alten Marktes, wobei vor allem jungsteinzeitliche, bronzezeitliche sowie mittelalterliche und neuzeitliche Befunde (bis hinein ins 20. Jahrhundert) angetroffen wurden. In der Regel handelte es sich um Rettungsgrabungen, die bekanntlich stets unter einem gewissen sowohl finanziellen als auch zeitlichen Druck stehen. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Aufgabe, die Dokumentationsgeschwindigkeit zu erhöhen, und zwar bei gleichzeitiger Erhaltung bzw. - wenn möglich - Verbesserung der Dokumentationsqualität.

Skizze

Abb. 1

Ziel war es, die "klassischen" Handzeichnungen durch "digitale Zeichenblätter" zu ersetzen. Dabei wird das Verfahren der digitalen Einzelbildentzerrung eingesetzt. Es werden also digitale Messbilder angefertigt und anschließend die auf diesen sichtbaren Passpunkte dreidimensional eingemessen. Im Büro (das unter Umständen auch aus einem engen Bauwagen bestehen kann) erfolgt nach der Archivierung der Bild- und Koordinatendateien die digitale Bildentzerrung und -montage, wobei die Programme ELSP (PMS AG, Schweiz) und PhoToPlan (kubit GmbH, Dresden) in Verbindung mit AutoCAD zum Einsatz gelangen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nur diejenigen Objekte, welche sich in der durch die Passpunkte definierten Entzerrungsebene befinden, korrekt entzerrt werden, während ansonsten eine mit dem Abstand von der Entzerrungsebene und mit dem Aufnahmewinkel zunehmende Verzeichnung in Kauf genommen werden muss. Die so entstandenen maßstabsgerechten Digitalbilder (Orthofotos) werden nun ausgedruckt. Erfahrene CAD-Bearbeiter und eine räumliche Nähe des Büros zur Grabung vorausgesetzt, kann der Archäologe vor Ort die fertigen "Feldausdrucke" im Bedarfsfall bereits ca. 15 Minuten nach der Aufnahme in den Händen halten.

Ziemlich schnell zeigte sich, dass eine gute Strukturierung der Dokumentation unumgänglich ist. Es erwies sich als vorteilhaft, die Stelle als zentrale Dokumentationskategorie zu verwenden: Alle dokumentierten Plana, Profile und Ansichten erhalten eine fortlaufende Stellennummer, und alle Fotos, Zeichnungen sowie auch die eingemessenen Punkte werden mithilfe der entsprechenden Stellennummern archiviert. Digitale Bilder und Zeichenblätter enthalten die Stellennummer bereits im Dateinamen, sodass der Zugriff auch bei sehr umfangreichen, mehrere Tausend Dateien umfassenden Dokumentationen unkompliziert und schnell möglich ist. Die Arbeit mit den Daten wird weiterhin dadurch erleichtert, dass der Name aller Dateien und Verzeichnisse mit einem dreibuchstabigen Grabungskürzel (z.B. PSS = Potsdam Stadtschloss) beginnt, das kürzer und prägnanter und damit auch benutzerfreundlicher als die "offizielle" Dokumentationsnummer ist.

Nach der Abgrenzung und Beschreibung der Befunde, die per Hand direkt auf dem Feldausdruck erfolgt, werden digitale Zeichenblätter angefertigt. Wir hatten von Anfang an den Anspruch, nicht nur die Befundgrenzen fotogrammetrisch zu erfassen, sondern auch die innere Struktur der Befunde deutlich werden zu lassen. Dies wird realisiert, indem in der CAD-Zeichnung die "objektive" Dokumentationsebene (das entzerrte Foto als Rasterbild) und die "subjektive" Interpretationsebene (Befundgrenzen und weitere Informationen als Linien und Texte) gleichzeitig dargestellt werden. Damit erfolgt eine - im Gegensatz zur Handzeichnung - deutliche Unterscheidung zwischen Dokumentations- und Interpretationsebene. Im Ergebnis entstehen digitale Zeichenblätter, vorzugsweise im Format A3 (vgl. exemplarisch Abb. 2).


Zum Vergrößern auf das Bild klickenAbb. 2

Beispiel für ein digitales Zeichenblatt: Ausgrabung Potsdam Alter Markt, Stellen 110 und 111

Nach mehreren Jahren Erfahrung mit der hier kurz dargestellten Dokumentationsmethode lässt sich sagen, dass diese erhebliche Vorteile mit sich bringt, wenngleich einige Probleme nicht verschwiegen werden dürfen. Man mache sich zunächst klar, welche Vorzüge der Computer etwa beim Schreiben eines Grabungsberichtes gegenüber der Benutzung von Papier und Feder besitzt: Das Redigieren, Reproduzieren, Transferieren, Publizieren und Archivieren wird erheblich vereinfacht, hinzu kommt im Allgemeinen eine bessere Lesbarkeit. Dies alles gilt ebenso beim Vergleich der digitalen mit den Handzeichnungen.

Hinzu kommen aber weitere Vorteile. Bereits angesprochen wurde die strikte Trennung von Dokumentations- und Interpretationsebene, die die nachträgliche Kontrolle der Befundansprache und -abgrenzung erheblich erleichtert bzw. überhaupt erst möglich macht. Als Beispiel mag die nicht selten auftauchende Frage dienen, ob ein im Planum sichtbares Pfostenloch nicht doch schon bereits im darüberliegenden Planum identifiziert werden kann; dies könnte etwa für die Datierung des Pfostens von Interesse sein. Auch können bei unklarer Befundlage Fehlinterpretationen nachträglich ohne große Umstände korrigiert werden.

Gegenüber konventionellen Handzeichnungen bieten die digitalen Zeichenblätter einen erheblichen Mehrwert. Die Darstellung der Plana erfolgt direkt im Landeskoordinatensystem (42/83 bzw. ETRS89), die der Profile im absoluten Höhensystem (vorzugsweise DHHN92), sodass die entsprechenden Werte sofort in der Zeichnung ablesbar sind. Da die Anfertigung der Zeichenblätter nachträglich erfolgt, besteht die Möglichkeit, zusammengehörige Stellen auch dann gemeinsam darzustellen, wenn sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten dokumentiert wurden. Eine nachträgliche Änderung des Maßstabs der Zeichnungen bereitet ebensowenig Schwierigkeiten, und schließlich ist es unproblematisch möglich, angrenzende Stellen in die Stellenzeichnungen einzutragen (in Abb. 2 sind die Plana blau, die Profile grün dargestellt), was die Aufarbeitung gerade bei komplexer Befundlage erheblich erleichtert.

Als ein wesentlicher Vorzug der fotogrammetrischen Dokumentationsmethode ist - gerade unter den Bedingungen einer Rettungsgrabung - die größere Unabhängigkeit von den Witterungsbedingungen zu betrachten. Frost, leichter Regen und Wind bereiten kaum Schwierigkeiten, und selbst bei Schneefall und einsetzender Dunkelheit gelangen uns (in letzterem Falle unter Einsatz des Blitzlichtes) zufriedenstellende Aufnahmen. Problematisch ist hauptsächlich direkte Sonneneinstrahlung, einerseits wegen des oftmals resultierenden Schlagschattens, andererseits wegen des schnellen Austrocknens der zu dokumentierenden Flächen; doch sind dies Probleme, mit denen der Ausgräber ja bei der Anfertigung der konventionellen Dokumentationsfotos ohnehin zu kämpfen hat.

Bei der Einschätzung der Dokumentationsgeschwindigkeit ist eine Eigentümlichkeit der fotogrammetrischen Dokumentationsmethode zu berücksichtigen, die darin besteht, dass der Dokumentationsaufwand hauptsächlich von der Zahl der dokumentierten Stellen, weniger jedoch von der Größe der dokumentierten Flächen und kaum von der Komplexität und Strukturierung der Befunde abhängig ist: Ein kleines Pfostenloch verursacht bei der Dokumentation nahezu denselben Aufwand wie mehrere Quadratmeter Mauerwerk. Daraus ergibt sich, dass der Vorteil der Fotogrammetrie umso stärker hervortritt, je komplexer und strukturierter die Befundlage ist. Umgekehrt ist bei sehr einfacher Befundlage die konventionelle Dokumentationsmethode (zumindest hinsichtlich des Dokumentationsaufwandes) vorzuziehen.

Obwohl der Einsatz der Fotogrammetrie in der Regel mit einer z.T. erheblichen Zeitersparnis verbunden ist, ist der Nutzen durch die größere Flexibilität als mindestens genauso wichtig einzuschätzen. Diese resultiert aus der Tatsache, dass ja die digitalen Zeichenblätter keineswegs fertiggestellt sein müssen, bevor etwa eine Fläche nach der Dokumentation des Planums weiter abgetieft werden kann. Damit gestaltet sich das Arbeiten unter Zeitdruck erheblich entspannter, wobei freilich die nachträgliche Anfertigung der eigentlichen digitalen Zeichenblätter bei großen Grabungen erhebliche Zeit in Anspruch nimmt, was bei der zeitlichen und finanziellen Gesamtkalkulation angesichts der oft allzu knapp bemessenen Aufarbeitungszeit berücksichtigt werden muss. Bei einfacher Befundlage ist es sogar möglich, die Ansprache und Beschreibung der Befunde nachträglich mit Hilfe der Feldausdrucke vorzunehmen, doch sollte die hierbei auftretende Gefahr der "Archäologie am Grünen Tisch" nicht unterschätzt werden.

Ein ähnliches Problem tritt zumal bei kleineren Grabungen auf, wenn die erforderliche Technik oder ein entsprechend qualifizierter CAD-Bearbeiter vor Ort nicht zur Verfügung steht. Hier können entweder vor Ort unmaßstäbliche Handskizzen angefertigt werden, oder - wenn zumindet ein Drucker vorhanden ist - die Abgrenzung der Befunde erfolgt auf unentzerrten Ausdrucken.

An dieser Stelle ist anzumerken, dass sich der Einsatz der Fotogrammetrie sicherlich nicht bei jeder Grabung rentiert, da nicht unerhebliche Investitionen sowohl in Hardware und Software als auch in Humankapital erforderlich sind. Hinzu kommt, dass in der Regel ein Büro mit Stromanschluss gemietet werden muss.

Das größte Problem ist in der Praxis die beschränkte Einsatzmöglichkeit der Fotogrammetrie, wenn die zu dokumentierenden Objekte nicht in einer Ebene liegen und es nicht möglich ist, hinreichend senkrecht zur Dokumentationsebene zu fotografieren, da in diesem Falle starke Verzeichnungen auftreten können. Schwierigkeiten dieser Art treten vor allem dann auf, wenn es um die Dokumentation von Baubefunden geht, wenn Profile in Leitungsgräben dokumentiert werden sollen, oder wenn bei der Dokumentation großer Plana keine ausreichend große Leiter o.ä. zur Verfügung steht. Die entstehenden Verzeichnungen lassen sich nur mit großem Aufwand minimieren; will man dies nicht in Kauf nehmen, bleibt nur der Rückgriff auf die Handzeichnung. Die Aufnahme der Befunde mittels 3D-Scanner hat sich dagegen derzeit aus Kostengründen nur in Ausnahmefällen als sinnvoll erwiesen; doch ist damit zu rechnen, dass sich diese Dokumentationsmethode in Zukunft weiter verbreiten wird.

Kurz verwiesen sei noch auf das mit dem digitalen Arbeiten immer verbundene Problem der Datensicherung und Langzeitarchivierung, das freilich einer umfassenden Lösung auf der Ebene des verantwortlichen Landesamtes bedarf. Immerhin kann gesagt werden, dass die hierfür zur Verfügung stehenden Techniken mittlerweile so ausgereift sind, dass die Sicherheit der digitalen Daten auf einem Niveau gewährleistet werden kann, das mindestens so groß ist wie im Falle konventionellen Archivgutes.

Die Fotogrammetrie, die zunächst als Hilfsmittel bei der Erstellung digitaler Zeichenblätter Anwendung findet, kann ihr Potential nur dann voll entfalten, wenn sie als Bestandteil einer digitalen Grabungsdokumentation verstanden wird. Ein wesentliches Element ist hierbei die simultane Georeferenzierung (d.h. die Zuweisung von Realweltkoordinaten): Die dokumentierten Stellen werden nicht nachträglich eingemessen, sondern die Einmessung der Passpunkte erfolgt - wenn möglich - im Landeskoordinatensystem, sodass die entzerrten Plana bereits georeferenziert sind und ohne großen Aufwand weiter benutzt werden können, sei es zum Abgleich mit benachbarten Stellen, sei es zur Erstellung von Übersichtsplänen. Damit wird es möglich, bereits während der Grabung Stellen- und Befundpläne anzufertigen und laufend fortzuschreiben. Die permanente Verfügbarkeit aktueller Pläne ist gerade bei großen und unübersichtlichen Ausgrabungen, wie sie im Potsdamer Stadtzentrum die Regel sind, von erheblichem Nutzen.

Der nächste Schritt wäre die Integration der räumlichen Informationen (also der Zeichnungen und Koordinaten) und der Sachinformationen (die in der Hauptsache die Beschreibung, Deutung und Datierung der Befunde und Funde umfassen) in einem Archäologischen Informationssystem. Ein solches Informationssystem wird derzeit für die Ausgrabungen am Potsdamer Stadtschloss von der Archäologie Manufaktur GmbH zusammen mit der ObjektScan GmbH, Potsdam entwickelt, wobei die Erfassung der Stellen, Befunde und Funde in einer relationalen Datenbank als wesentliche Grundlage für die künftige Verknüpfung der Sachdaten mit den Plänen und Zeichnungen zu betrachten ist.

Obwohl also eine erhebliche Wegstrecke noch vor uns liegt, sind wir unserem Ziel, dem digitalen Grabungsbericht, inzwischen schon ein gutes Stück nähergekommen.

 

Kontakt

Frank Richter
Archäologie Manufaktur GmbH
Friedrich-Rumpf-Straße 15
14641 Wustermark
Mail: frank-ri@web.de

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