Anthropologische Qualitätsstandards I:
Die römischen Gräberfelder der Stadt Köln

Von Carola Berszin

Einleitung

2011 hat sich in Brandenburg die Arbeitsgemeinschaft Freiberuflicher Osteoanthropologen (AOFA) zu einer konstituierenden Sitzung getroffen. Die AOFA ist eine Arbeitsgruppe der Gesellschaft für Anthropologie, in der sich freiberufliche Anthropologen vernetzen und austauschen können. Ein Hauptziel ist die Erarbeitung und Einhaltung von anthropologischen Qualitätsstandards (www.gfanet.de). Die Mitglieder streben an, diese Standards ebenfalls durch Vorträge publik zu machen. Die Tagung des BfKs 2012 in Würzburg war eine der ersten Gelegenheiten in Form von zwei Vorträgen (Vortrag Bettina Jungklaus)anhand von Beispielen diese Standards zu verdeutlichen. Es sollen somit bestmöglichste Ergebnisse bei der Bearbeitung von Skeletten, Leichenbränden bis hin zu gesamten Gräberfeldern erzielt werden und zwar idealerweise von der Ausgrabung bis zum Bericht.
[ www.gfanet.de]

Römische Gräberfelder der Stadt Köln

Die Entdeckungen und Ausgrabungen römischer Gräberfelder in Köln beschäftigen die Historiker und Archäologen schon seit dem Mittelalter (Riedel 1998). Ab Mitte der 20er Jahre erfolgten die systematischen Ausgrabungen durch die Bodendenkmalpflege. Erste anthropologische Untersuchungen wurden 1986 von Peter Caselitz durchgeführt (Köln Friesenstraße, ca. 35 Individuen, unpubliziert).

2007 erhielt die Autorin die ersten Individuen, Leichenbrände und Skelette, zur anthropologischen Untersuchung von den Fundstellen Waidmarkt 1, Am Filzgraben, Brunostraße, Quentelstraße 13, Quentelstraße 19 sowie Kleine Spitzengasse (Höpken et al. 2009).

Bis 2011 konnten dann an die 900 römische Bestattungen aus verschiedenen Gräberfeldern der Stadt Köln im Rahmen eines Gräberfeldprojektes des Landes Nordrhein-Westfalen und dem Römisch-Germanischen Museum der Stadt Köln in Zusammenarbeit mit den Archäologen Dr. Constance Höpken und Dr. Bernd Liesen - unter der Leitung zunächst von Prof. Hansgerd Hellenkemper und anschließend Dr. Markus Trier - anthropologisch untersucht werden. Die meisten Skelette und Leichenbrände stammten aus Altgrabungen.

Für den Vortrag im Rahmen der Tagung des BfKs 2012 in Würzburg erfolgte eine Auswahl der bearbeiteten Gräber. Die Kriterien zur Auswahl richteten sich einerseits nach bereits erfolgter Publikation und zum anderen zur Verdeutlichung der Kooperation von Archäologen, Historikern und Anthropologen bei der komplexen Bearbeitung größerer Gräberfelder.

Das Oppidum Ubiorum wurde 50 n. Chr. zur Colonia Claudia Ara Agrippinensium erhoben. Nach Tacitus (Historien 4, 65) lebten hier zahlreiche Menschen unterschiedlicher Herkunft (Höpken 2007). Die größte Bevölkerungsgruppe stellten die Ubier, ein germanischer Stamm aus dem Neuwieder Becken. Der Ort der Beisetzung war für die Römer von großer Bedeutung. Nach Cicero (ad Atticum 12, 10-13,5) war ein Begräbnis ideal am belebten Ort, der allen bekannt war, damit er nicht in Vergessenheit geriet. Dies war in den antiken Städten in der Regel entlang der Fernstraßen, die von vielen Reisenden passiert wurden. Die erbauten Grabmäler sollten den Ruhm und den Reichtum der Familien vor Augen führen. Die Aneinanderreihung von Grabmälern kann somit als ein Abbild der höheren Gesellschaftsschicht gelten. Zu den ältesten und ebenfalls auffälligsten Bestattungen gehört das Grabmal des Veteranen Lucius Poblicius aus den 40er Jahren des 1. Jahrhunderts vom Chlodwigplatz (La Baume 1971; Precht 1979). Die Gräberfelder des römischen Kölns lehnen sich an die großen Staatsstraßen nach Süden, Westen und Norden an, aber auch an einige untergeordnete Nebenstraßen (Abb. 1).

  • Gräberfeld an der Severin- und Bonner Straße, Staatsstraße Köln - Bonn, Länge ca. 3 km; belegt von Soldaten und Zivilisten. Neben Brandbestattungen auch einfache Erdgruben, Steinkisten, Körperbestattungen mit und ohne Sarg, aufwendige Sarkophage, Grabkammern.
  • Gräberfeld an der Luxemburger Staße, an der Staatsstaße Köln - Trier, 2,5 km lang und bis zu 400 m breit, 1. bis 3. Jahrhundert.
  • Gräberfeld an der Aachener Straße, römische Staatsstraße nach Westen, 2 km lang, älteste Brandbestattungen 1. Jahrhundert.
  • Gräberfeld vor der Nordwest - Ecke um St. Gereon entlang einer Nebenstraße, ca. 1200 Bestattungen, 2/3 Brandbestattungen. Hocker- und Pferdebestattungen weisen eher auf die einheimische Bevölkerung hin. Belegung 1. bis 4. Jahrhundert.
Karte 2

LupeAbb. 1:
Die römischen Gräberfelder der Stadt Köln

Gräberfeld um St. Gereon

Grabstein

Abb. 2
Grabstein der "Bella"

Ab Mitte der 20er Jahre erfolgten systematische Ausgrabungen. Es konnten eine Fülle von Grabsteinen mit aufschlussreichen Inschriften geborgen werden. Um St. Gereon konzentrieren sich die Fundstellen frühchristlicher, teils bereits fränkischer Grabsteine. Dort erlitten der Legende nach die christlichen Soldaten der Thebäischen Legion ihr Martyrium.

Ein Beispiel zeigt die Grabstele der "Bella". Ihre Familie gehörte dem gallischen Stamm der Remer an. Ihr Mann Longinus hatte den Stein aufstellen lassen. Bella wurde ca. 20 Jahre alt und ist mit einem Kind im Arm dargestellt (Abb. 2). Den Hinweis der Grabinschrift auf ihre Herkunft nahm man zum Anlass eine Probe ihres Skelettes zur Herkunftsbestimmung anhand der Strontium-Isotopie-Methode an die Universität München, durchgeführt von Dr. Mike Schweissing, zu übergeben (Höpken et al. 2009).

1985/86 erfolgten umfangreiche Ausgrabungen im Bereich Spiesergasse, Im Klapperhof und Friesenstraße mit weiteren 734 Gräbern. 1989 wurden in der Norbertstraße weitere 120 Gräber ausgegraben. Rund 25 Prozent aus diesen Grabungskampagnen bestehen aus Körpergräbern. Das gilt als ein überraschend hoher Anteil an Körpergräbern gegenüber den Brandbestattungen für diese Zeitstellung. Unter den Körperbestattungen fanden sich verschiedene Sonderbestattungen (Abb. 3). Die Ansprache als Sonderbestattung zeigt hier eine abweichende Deponierung der Toten vom für die Zeit üblichen Bestattungsritus (Wahl 1994; Riedel 1998).

Grab

Abb. 3
Beispiel einer Sonderbestattungsform "Kopfüber" bestattet

Fundort Köln-Norbertstrasse

Die Hauptbestattungsform waren im 1. Jahrhundert n. Chr. die Brandbestattungen (Abb. 4). Zur anthropologischen Untersuchungen wurden die meisten Leichenbrände übergeben. Die Urnen wurden von den Restauratoren des Römisch-Germanischen Museums entnommen und die entdeckten archäologischen Beifunde verblieben in Köln. Bei der anthropologischen Untersuchung von Leichenbränden werden diese vorsichtig gewaschen und die vermischte Holzkohle getrennt. Nach dem Trocknen auf speziellen Trockensieben werden die fragmentierten Leichenbrandreste nach anatomischen Regionen getrennt ausgelegt um einen Überblick über die Vollständigkeit und der Repräsentanz zu erhalten. Bei dieser ersten Durchsicht werden in der Regel weitere Funde wie verbrannte und unverbrannte Tierknochen, Knochenartefakte sowie Hinweise auf Mehrfachbestattungen sowie Leichenbrandverschleppung ausgelesen. Dann erfolgt die Bestimmung der Verbrennungsstufen, Fragmentierungsgrade und die Erhebung der Individualdaten Sterbealter (histologisch und morphologisch), Geschlecht, rekonstruierte Körperhöhe, Maße, Pathologie, Trauma, gegebenenfalls epigenetische Merkmale sowie sonstige Veränderungen (Großkopf 2004; Rösing 1977; Wahl 1988; 2008). Das erhaltene Leichenbrandgewicht gibt einen ersten Hinweis auf die Vollständigkeit. Sämtliche Daten wurden in einer Datenbank erfasst und statistisch ausgewertet.

Brandbestattung

Abb. 3
Brandbestattungen - Fundort Friesenstraße/Spiesergasse

Fraktur

An den Leichenbränden und Körperbestattungen konnten zahlreiche Verletzungen sowie mehr oder wenige gute Heilkunst der römischen Ärzte untersucht werden. Statistisch ausgewertet wurde u.a. die Kariesfrequenz sowie Erkrankungen des Zahnhalteapparats. Bei speziellen Fällen erfolgten zusätzlich histologische und röntgendiagnostische Untersuchungen. Besonders bei den Körperbestattungen konnten verheilte und frische Verletzungen am Knochen beobachtet werden (Abb. 5 und 6).

Abb. 5
Beispiel einer verheilten Fraktur der linken Tibia

Schädel 2

LupeAbb. 6:
Beispiele einer unverheilten (links) und einer verheilten Verletzung (rechts) am Schädel

Zusammenfassung

Im Rahmen eines Vortrages der Tagung des BfKs in Würzburg 2011 wurden einige Ergebnisse der anthropologischen Untersuchungen römischer Gräber in Köln vorgestellt. In den letzten Jahren nimmt die Kooperation von Historikern, Archäologen und Anthropologen bei der Bearbeitung größerer Gräberfelder zu. Da der anthropologische Teil der Projekte immer mehr von freiberuflichen Anthropologen übernommen wird, hat sich im November 2011 in Brandenburg eine Arbeitsgruppe freiberuflicher Anthropologen, die Mitglieder in der Gesellschaft für Anthropologie sind, zusammengeschlossen, um an einheitlichen Qualitätsstandards der anthropologischen Bearbeitung von Auftragsarbeiten mitzuwirken (AFOA). Die Mitglieder haben ihre Ausbildung an verschiedenen Universitäten absolviert und verfügen zum großen Teil über sehr große Praxiserfahrung. Viele arbeiten seit Längerem mit Archäologen zusammen und können bereits auf der Ausgrabung mitwirken. Auch wenn eine Mitwirkung auf der Ausgrabung ein Desiderat darstellt, gibt es noch sehr viele Skelette und Leichenbrände aus früheren Ausgrabungen, die noch auf ihre Auswertung warten. Die freiberuflichen Anthropologen der AFOA sind vernetzt mit Universitäten und naturwissenschaftlichen Institutionen. Die Mitglieder verfügen über eine ausreichende Infrastruktur, um Gräberfelder mit hoher Individuenanzahl kontinuierlich und wissenschaftlich fundiert bearbeiten zu können. In Zeiten, da an Universitäten Institute geschlossen werden, die Ausbildung zukünftiger Osteoanthropologen durch das Bachelor- und Masterstudium selten mit entsprechender Praxiserfahrung einhergehen kann, stellen die freiberuflichen Anthropologen mit ihrer bereits langjährigen Praxiserfahrung eine immer wichtiger werdende Rolle dar (Jungklaus/Berszin 2012).

Literatur

Großkopf, B., Leichenbrand. Biologisches und kulturhistorisches Quellenmaterial zur Rekonstruktion vor- und frühgeschichtlicher Populationen und ihrer Funeralpraktiken. Dissertation Universität Leipzig 2004.

Höpken, C., Frühe römische Gräber in Köln. In: Rheinisches Landesmuseum Bonn, Landschaftsverband Rheinland (Hg.), Krieg und Frieden, Kelten - Römer - Germanen. Darmstadt 2007. S. 295-301.

Höpken, C., Liesen, B. mit Beiträgen von H. Berke, C. Berszin, I. Martell und M. Schweissing: Römische Gräber im Kölner Süden I. Von der Stadtmauer zur Nekropole St. Severin. Kölner Jahrbuch 42, 2009, 447-544.

Jungklaus, B., Berszin, C., Die AG "freiberufliche Osteoanthropologen" (AFOA) stellt sich vor. Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, Bd. 33, 2012, 28-29.

La Baume, P., Auffindung des Poblicius-Grabmonuments in Köln. Gymnasium 78, 1971, 373-387.

Precht, G., Das Grabmal des Lucius Poblicius. Rekonstruktion und Aufbau. Römisch-Germanisches Museum, Köln 1979.

Riedel, M., Frühe römische Gräber in Köln. In: G. Precht (Hrsg.), Bestattungssitte und kulturelle Identität. Grabanlagen und Grabbeigaben der frühen römischen kaiserzeit in Italien und den Nordwest-Provinzen. Köln/Bonn 1998. S. 307-318.

Rösing, F.W., Methoden und Aussagemöglichkeiten der anthropologischen Leichenbranduntersuchung. In: Archäologie und Naturwissenschaften 1, 1977, 53-80.

Wahl, J., Menschenknochen. In: J. Wahl, M. Kokabi, Das römische Gräberfeld von Stettfeld I. Stuttgart 1988. S. 46-223.

Wahl, J., Zur Ansprache und Definition von Sonderbestattungen. In: M. Kokabi, J. Wahl (Hrsg.), Beiträge zur Archäozoologie und Prähistorischen Anthropologie. Stuttgart 1994. S. 85-106.

Wahl, J., Investigations on Pre-Roman and Roman Cremation remains from Southwestern Germany: Results, Potentialities and Limits. In: W. Schmidt, S.A. Symes (eds.): The Analysis of Burned Human Remains. London 2008. 145-161.