Alles 3D? -
Über die Nutzung aktueller Aufnahmetechnik in der archäologischen Bauforschung

Von Henning Burwitz, Frank Henze und Alexandra Riedel

Einleitung

Während noch vor wenigen Jahren sowohl der Einsatz von 3D-Messmethoden als auch die Visualisierung und Rekonstruktion von archäologischen Fundsituationen und historischer Bausubstanz in 3D-Modellen kontrovers diskutiert wurden, haben 3D-Techniken mittlerweile einen festen Platz in der baugeschichtlich-archäologischen Forschung. Es herrscht ein breiter Konsens über die Vorteile der neuen Arbeitsmethoden. Die vielfältigen Möglichkeiten der Erfassung und Nutzung von 3D-Daten wurden und werden auf verschiedenen Tagungen, Messen oder Workshops von Anwendern wie auch den Herstellern von Hard- und Software mannigfaltig vorgestellt und diskutiert (u.a. 3D-Arch 2011; CIPA 2011; Heine, 2011). Das Spektrum der Einsatzmöglichkeiten reicht dabei vom vollständigen 3D-Scan komplexer baulicher Anlagen, über die Reproduktion gescannter Bauteile für Restaurierungszwecke bis hin zur Erstellung detaillierter virtueller Welten für die Visualisierung historischer baulicher Zusammenhänge.

Trotz dieser Entwicklungen zeigt sich in Vorträgen und Gesprächen mit Anwendern wie auch bei den eigenen baugeschichtlich-archäologischen Projekten, dass nach wie vor ein großer Diskussionsbedarf in Bezug auf einen effizienten und sinnvollen Einsatz der neuen Methoden besteht. Noch immer fehlen Konzepte und Werkzeuge für eine durchgängige Nutzung von 3D-Daten, angefangen von der Erfassung bis hin zur Präsentation der Forschungsergebnisse. Das Potential automatisierter Messverfahren und der damit gewonnenen 3D-Informationen wird somit oftmals nicht ausgenutzt. Auch im Hinblick auf die langfristige Archivierung und Veröffentlichung digitaler 3D-Daten bestehen Vorbehalte gegenüber einem radikalen Methoden- und Medienwechsel. Und nicht zuletzt müssen die Auswirkungen der neuen Entwicklungen auf die eigentliche archäologische und baugeschichtliche Forschung kritisch hinterfragt werden: Ergeben sich durch den Einsatz neuer Methoden tatsächlich auch neue Ansätze und Fragestellungen oder wird 3D nach wie vor nur als erweiterte Möglichkeit für Präsentation und Visualisierung gesehen?

Nachfolgend werden daher Ideen und Ansätze zum effektiven Umgang mit 3D-Informationen vorgestellt und es soll diskutiert werden, inwieweit der Einsatz neuer 3D-Werkzeuge und -Methoden das Potential hat, die Bauaufnahme und die Bauforschung sowie ihre Methoden zu verändern.

3D-Aufnahmeverfahren

Die Bezeichnung 3D-Aufnahmeverfahren trifft streng genommen auf alle Vermessungsverfahren zu, bei denen die Lage eines Objektpunktes in einem räumlichen Koordinatensystem bestimmt wird. Während bei Tachymetrie, GPS und Photogrammetrie die Ermittlung von 3D-Koordinaten offensichtlich ist, kann bei entsprechender Vorgehensweise auch im Handaufmaß die Geometrie eines Objektes in allen drei Dimensionen erfasst werden. Kennzeichnend für diese "klassischen" Aufnahmeverfahren ist die manuelle Messung diskreter, bewusst gewählter Objektpunkte für definierte Schnitte, Grundrisse und Ansichten.

Für eine möglichst vollständige 3D-Erfassung kommen in Archäologie und Bauforschung häufig bereits automatische 3D-Aufnahmeverfahren, wie Laserscanning, Streifenlichtscanning oder automatische Stereobildauswertung zum Einsatz. Charakteristisch für diese Verfahren ist eine weitgehend automatisierte Erfassung des Objektes durch direkte oder indirekte Abtastung der Objektoberfläche mit einer sehr hohen Auflösung und Genauigkeit in sehr kurzer Zeit. Im Gegensatz zu den klassischen Aufnahmeverfahren entsteht eine sehr dichte Wolke aus 3D-Punkten, welche die Objektoberfläche "vollständig" abbildet. Das Messergebnis ist damit einerseits weitgehend unabhängig vom "Beobachter" und seiner persönlichen Wahrnehmung bzw. Interpretation des Objektes, zum anderen ist die Messung aber auch unabhängig von der späteren Auswertung bzw. Fragestellung und kann neben der Bauforschung ebenso für Restaurierung, Rekonstruktion, Statik etc. verwendet werden.

Zusätzlich zur Geometrieinformation der Punktwolke können auch radiometrische Informationen, z.B. über die Intensität des reflektierten Signals oder aus Farbinformationen von hochauflösenden Bildern, mit den 3D-Punkten verknüpft werden. Aus diesen Informationen lassen sich weitere Aussagen, u.a. über Oberflächenbeschaffenheiten, Material oder Schäden ableiten.

3D-Punktwolken und weiterführende Auswerteverfahren

Primäres Ergebnis der automatisierten Aufnahmeverfahren ist eine sehr dichte, uninterpretierte 3D-Punktwolke, die einem digitalen 3D-Abbild der Objektoberfläche entspricht. Für die Bearbeitung vieler Fragestellungen reicht diese Punktwolke in einer geeigneten Darstellung bereits aus: Unmittelbar nach der Aufnahme werden die Daten direkt vor Ort bereinigt und über Passpunkte oder benachbarte Punktwolken in das Objektkoordinatensystem transformiert. Danach können Schnitte, Ansichten und Grundrisse aus der Punktwolke extrahiert und dem Bauforscher als maßstäbliche Zeichengrundlage übergeben werden (Abb. 1).

Bauaufnahmeplan und Zeichengrundlagen

Zum Vergrößern auf das Bild klickenAbb. 1
Bauaufnahmeplan (links) und zwei mögliche Zeichengrundlagen: photogrammetrisch erstellter
2D-Bildplan (Mitte) sowie extrahierte, orthogonale Ansicht einer 3D-Punktwolke (rechts)

Neben der Verwendung als Zeichengrundlage für die Aufnahme vor Ort kann die 3D-Punktwolke darüber hinaus auch als Grundlage für die Erstellung abgeleiteter Produkte für weitergehende Untersuchungen oder Darstellungen dienen. So können zum einen aus der Kombination von 3D-Oberflächengeometrien und hochauflösenden Bild-Daten Entzerrungen, Orthobilder oder Abwicklungen für definierte Ansichten berechnet werden. Zum anderen können die 3D-Daten aber auch, wie z.B. beim Monoplotting, unmittelbar grafisch ausgewertet werden. Und schließlich ist es möglich auf Grundlage von Punktwolken die unterschiedlichsten 3D-Modelle zu erstellen und ggf. um Texturinformationen zu ergänzen.

Im Hinblick auf den Entstehungsprozess und den "Inhalt" von 3D-Modellen können zwei Grundtypen unterschieden werden (Abb. 2): Auf der einen Seite kann aus den originären Messdaten - der Punktwolke - ein darauf aufbauendes, vermaschtes Oberflächenmodell erzeugt werden. Dieses generierte Oberflächenmodell stellt, wie die Punktwolke selbst, ein uninterpretiertes 3D-Abbild des Untersuchungsobjektes dar. Auf der anderen Seite kann ein 3D-Modell erstellt werden, das aus vereinfachten Oberflächen oder Volumenkörpern zusammengesetzt ist. Diese konstruierten 3D-Modelle sind im Gegensatz zum 3D-Abbild abstrahierte bzw. generalisierte und damit auch interpretierte, für eine konkrete Fragestellung erstellte Darstellungen des Bauwerks. Sie enthalten Informationen, die über eine reine Geometrieerfassung hinausgehen, wie z.B. die nicht mess- und einsehbaren Bereiche im Inneren des Baukörpers.

3D-Modelle

Zum Vergrößern auf das Bild klickenAbb. 2
Unterschiedliche 3D-Modelle; links ein 3D-Abbild des Bauaufnahmeobjektes (Punktwolke oder vermaschtes Oberflächenmodell) und rechts ein konstruiertes 3D-Modell

Bauaufnahme und Bauforschung

Cord Meckseper hat in seiner Veröffentlichung "Zum Selbstverständnis der Baugeschichtsforschung" (Meckseper, 1985) herausgestellt, dass die Beschreibung Vasaris von der Entdeckung der antiken Bauten im 16. Jahrhundert noch 1985 den baugeschichtlichen Forscher charakterisiert. Die Grundlage baugeschichtlichen Forschens ist nach Meckseper die "(...) systematische (...) Annäherung (an das Objekt), um die fremde Gegebenheit mit dem Zollstock zu messen, d.h. sich rationalisierend mit ihr auseinanderzusetzen und sie sich durch zeichnerische Darstellung anzueignen. Schließlich der über diesen Vorgang erst mögliche Schritt, hinter dem architektonischen Gegenüber die Konturen seiner geschichtlichen Dimension zu umreißen und damit ein Hauptmerkmal seiner Qualität zu definieren."

Diese Vorgehensweise beschreibt sehr treffend auch die Arbeit des heutigen Bauforschers, womit sich am Grundprinzip der baugeschichtlichen Forschung seit dem 16. Jahrhundert kaum etwas geändert hat. Gewandelt haben sich unser Blickwinkel auf die Geschichte und die Fragestellungen, denen wir heute nachgehen, sowie das Methodenrepertoire, mit welchem wir heute Bauwerke aufnehmen und erforschen.

3D-Modelle

Abb. 3
Schematische Darstellung des klassischen Arbeitsprozesses der Bauaufnahme und Bauforschung

Der klassische Prozess der baugeschichtlichen Erforschung ist vereinfacht in Abbildung 3 dargestellt. Der erste Schritt, die Annäherung und Erfassung des Objektes beim Messen, Beobachten, Zeichnen und Beschreiben, entspricht in unserem Verständnis der Bauaufnahme. Der zweite Schritt, das Interpretieren der Befunde, das Analysieren und Bewerten ist die eigentliche Erforschung des Objektes - die Bauforschung. Jedoch erfolgt die Bauaufnahme, die Erstellung der Grundlagen für eine wissenschaftliche Bearbeitung, nie losgelöst von der baugeschichtlichen Fragestellung. Bereits die Ergebnisse der Bauaufnahme beinhalten eine erste Interpretation des Objektes, sei es durch die bewusste Festlegung von Schnitten und Ansichten, oder die Auswahl der im Plan abgebildeten Informationen. Durch dieses Ineinandergreifen der verschiedenen Arbeitsschritte sind Bauaufnahme und Bauforschung untrennbar miteinander verbunden.

3D: mehr Information - mehr Möglichkeiten - mehr Zeit?

Beim Einsatz der klassischen Aufnahmeverfahren werden, in Abhängigkeit von einem zuvor definierten Planmaßstab, ausgewählte Objektpunkte gemessen, um daraus für bestimmte Bereiche des Gesamtobjektes Grundriss-, Schnitt- oder Ansichtspläne zu erstellen. Durch das gezielte Messen für vordefinierte Pläne ergeben sich jedoch gewisse Zwänge im Arbeitsprozess der Bauaufnahme. Oft muss der gleiche Bereich mehrmals gemessen werden, nämlich jeweils getrennt für Längsschnitt, Querschnitt und Grundriss. Vielfach werden mit entsprechendem Aufwand größere Objektbereiche nur deshalb gemessen, damit sich eine vollständige Plandarstellung ergibt, ohne dass ein inhaltlicher Mehrgewinn zu erwarten ist. Aus den fertigen Plänen können zwar kleinere Planmaßstäbe abgeleitet werden, für größere Maßstäbe fehlen jedoch die nötigen Detailinformationen. Und häufig zeigt sich erst bei der Auswertung der Mess- und Planunterlagen am Schreibtisch, welche Informationen für die Untersuchung noch fehlen, so dass erneut Messungen vor Ort durchgeführt werden müssen. Nicht selten nimmt so die reine Geometrieerfassung einen erheblichen zeitlichen und personellen Anteil im Gesamtprozess der Bauaufnahme ein und lässt damit weniger Zeit für die tatsächliche inhaltliche Annäherung an das Objekt. Die gewonnenen, originären Messdaten können im besten Falle für weitere Pläne oder ggf. für die Konstruktion eines vereinfachten 3D-Modells verwendet werden. Sie sind letztlich aber nur ein Zwischenprodukt, das schließlich zu den Akten gelegt oder gar gelöscht wird, weiterführende Informationen lassen sich daraus in der Regel nicht gewinnen.

Im Gegensatz dazu wird bei der automatisierten 3D-Erfassung das gesamte Objekt in Abhängigkeit von der Fragestellung und der zur Verfügung stehenden Messtechnik so genau wie möglich/nötig erfasst - es wird ein dreidimensionales geometrisches Abbild des Objektes erstellt, das weitgehend unabhängig vom späteren Auswertemaßstab oder den benötigten Plandarstellungen ist. Auf Grund der sehr hohen Informationsdichte stellt dieses uninterpretierte 3D-Abbild bereits eine eigene Dokumentationsform dar, die über das eigene Forschungsinteresse hinaus zudem Informationen für weiterführende Untersuchungen und Fragestellungen liefern kann. Das 3D-Abbild dient im folgenden Arbeitsprozess als zentrale geometrische Grundlage zur Ableitung ganz unterschiedlicher Darstellungsformen und Abbildungsmaßstäbe: Neben den gewohnten zweidimensionalen Ansichten, Schnitten und Grundrissen können aus der Punktwolke sowohl vermaschte Oberflächenmodelle als auch komplexe konstruierte 3D-Modelle erstellt werden. Damit kann unter der Voraussetzung einer konsequenten Nutzung der Geometriedaten die automatische 3D-Erfassung zu einer Optimierung des Arbeitsablaufes führen (Abb. 4).

Artbeitsablauf

Zum Vergrößern auf das Bild klickenAbb. 4a
Häufig praktizierter Arbeitsablauf ...

Methodenvorschlag

Zum Vergrößern auf das Bild klickenAbb. 4b
... und Vorschlag zum effektiven Einsatz der neuen Methoden

Der wesentliche Unterschied zwischen der klassischen Bauaufnahme und den neuen Aufnahmeverfahren liegt in der Abkehr von der bewussten, manuellen Messung einzelner Punkte hin zu einer automatisierten Erfassung möglichst vieler Punkte. Der konsequente Einsatz automatisierter Messverfahren ermöglicht bzw. erfordert sogar die Entkopplung der Geometrieerfassung von den weiteren Schritten der Bauaufnahme und Bauforschung, was den Prozess der herkömmlichen Bauaufnahme verändern kann (siehe Abb. 5).

Während beim Einsatz der klassischen Messverfahren die Qualität der Bauaufnahme vor allem durch das Wissen und die Erfahrung des Aufnehmenden und weniger durch die technische Apparatur bestimmt wird (Schuller, 2001), kann dies auf automatisierte 3D-Aufnahmemethoden nicht übertragen werden. Hier spielt das Verständnis für das Bauwerk und seine Geschichte allenfalls eine untergeordnete Rolle. Vielmehr stehen das technische Können und der an das Objekt und die Fragestellung angepasste Messprozess im Vordergrund. Mit den entsprechenden Vorgaben zur Genauigkeit und Dichte des benötigten Geometrieabbildes kann die automatisierte Erfassung durch einen Geodäten weitgehend losgelöst im Vorfeld der eigentlichen Bauaufnahme erfolgen. Für den Bauforscher bedeutet dies eine erhebliche Verringerung des eigenen Messaufwandes vor Ort und damit, zunächst theoretisch, mehr Zeit für die Beobachtung, Analyse und Interpretation des Objektes.

3D-Modelle

Abb. 5
Veränderung des Arbeitsprozesses durch automatisierte 3D-Aufnahmeverfahren

Aber kann man das Objekt begreifen, wenn man es sich nicht durch das Messen angeeignet hat? Besteht nicht die Gefahr, die "gewonnene" Zeit "einzusparen" und damit weniger Zeit am und mit dem Objekt zu verbringen? Die Arbeitsschritte einer systematischen Annäherung an das Objekt durch die Vermessung werden in diesem neuen Ablauf nicht mehr zwangsläufig vom Bauforscher geleistet. Nur die letzte Forderung Mecksepers nach einer Aneignung des Objektes durch dessen zeichnerische Darstellung (siehe Zitat oben) bleibt im Arbeitsablauf erhalten. Auf ihr muss folglich ein besonderes Gewicht liegen. Nur noch während des Zeichnens arbeitet der Bauforscher direkt am Bauwerk, nur in diesem Arbeitsschritt kann er sich dem Objekt annähern, sich mit ihm rationalisierend auseinandersetzen und es sich aneignen.

Während sich die Methodik und die Werkzeuge der Geometrieerfassung stetig weiterentwickeln, bleibt das manuelle Zeichnen die Methode, sich das Verständnis des Objektes zu erarbeiten: Die Umsetzung eines realen Objektes in eine Zeichnung, bedeutet für jede einzelne Linie eine bewusste Entscheidung des Zeichnenden. In diesem Prozess wird aus der neutralen Punktwolke, dem 3D-Abbild, eine Interpretation und Aussage. Die Erstellung einer zeichnerischen Dokumentation auf der Basis von (weitgehend) automatisch erfassten Informationen sollte daher nach wie vor ausschließlich vor Ort am realen Objekt erfolgen - umso mehr, da der direkte Kontakt beim Messen der Geometrie eben nicht mehr zwangsläufig gegeben ist. Die Anwendung automatischer 3D-Aufnahmeverfahren erlaubt es, die "kostbare" Zeit vor Ort verstärkt für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Objekt zu nutzen, anstatt sie durch das Messen unzähliger Punkte mit dem Tachymeter zu "verlieren".

Bauforschung in 3D?

Die geometrische Grundlage für die Bearbeitung baugeschichtlicher Fragestellungen ist klassischer Weise der 2D-Plan, d.h. die maßstäbliche Abbildung des Objektes in definierten Grundrissen, Schnitten und Ansichten. Ein gezeichneter 2D-Plan ist eine vereinfachte Darstellung, die es erlaubt bzw. erleichtert, räumliche Zusammenhänge unmittelbar zu erkennen. Für vergleichende Analysen, die eine historische Einordnung von Bauwerken erst ermöglichen, sind Abbildungen mit dem gleichen Informationsgehalt, der gleichen Abbildungsebene sowie dem gleichen Maßstab unerlässlich. In der herkömmlichen 2D-Darstellung haben sich hierfür seit Jahrhunderten gewisse Standards und Sehgewohnheiten entwickelt. Im Gegensatz dazu liefern 3D-Modelle bzw. 3D-Punktwolken unmittelbar einen räumlichen Eindruck des Objektes und der 3D-Geometrie. Eine Festlegung auf definierte Maßstäbe, Ansichten oder Darstellungsformen erfolgt nicht, vielmehr können Perspektive, Beleuchtung, Farbigkeit und Darstellung variiert werden. Die Arbeit mit digitalen 3D-Daten bietet damit ein höheres Maß an Flexibilität und mehr Freiheitsgrade bei der Analyse und Auswertung.

Allerdings ist die Bearbeitung von 3D-Daten immer an einen Computer mit entsprechender Software gebunden, womit auch die Grenzen des unmittelbaren räumlichen Eindrucks deutlich werden. Während das Abgreifen einer Strecke in einem analogen Plan mit Hilfe eines Anlegemaßstabes unmittelbar, einfach und schnell auch für unerfahrene Anwender möglich ist, muss dies im 3D-Modell zwangsweise am Rechner erfolgen und erfordert entsprechende Kenntnisse im Umgang mit digitalen 3D-Geometrien. Die unbearbeiteten Daten der automatischen 3D-Aufnahmeverfahren eignen sich aufgrund der sehr großen Datenmengen und der hohen Komplexität für die Betrachtung von Einzelaspekten nur sehr eingeschränkt. So muss für jede Fragestellung eine dafür zugeschnittene Darstellung aus der Punktwolke generiert werden. Erst diese Aufbereitung der Rohdaten erlaubt eine Analyse. Der Bauforscher ist somit gezwungen, sich mit der Technik auseinander zu setzen. Nur so kann er selbst die notwendigen Beobachtungen zur Beantwortung seiner wissenschaftlichen Fragen machen. Für eine vergleichende Analyse verschiedener Bauwerke in 3D ist einerseits die Anzahl verfügbarer 3D-Modelle noch zu gering und es fehlen bisher die notwendigen Standards und Sehgewohnheiten, die eine vergleichende Darstellung erst ermöglichen.

Das konstruierte 3D-Modell bietet gegenüber dem 3D-Abbild gänzlich andere Möglichkeiten für die Bauforschung. Diese 3D-Modelle können, wie zuvor Rekonstruktionszeichnungen, dazu dienen, konstruktive und räumliche Zusammenhänge ganz gezielt zu untersuchen sowie Interpretationen zu prüfen. "Re-Konstruktion" kann im virtuellen Raum des 3D-Modells ganz wörtlich als Nachvollziehen des Bauprozesses verstanden werden. Ebenso wie das manuelle Zeichnen, ist das Modellieren in 3D ein Prozess, der den Bearbeiter dazu zwingt, Entscheidungen zu treffen, Objekten aktiv eine Form zu geben und sie exakt zu positionieren. Für die Analyse ist es ein wesentlicher Vorteil, in drei Dimensionen arbeiten zu können statt in zweidimensional projizierten Abbildungen. Jedoch ist die Erstellung von konstruierten 3D-Modellen nach wie vor sehr aufwändig, und nicht immer werden die gemessenen 3D-Abbilder im Modellierungsprozess verwendet. Oft werden aus den 3D-Geometrien zunächst die gewohnten zweidimensionalen Grundrisspläne und Schnitte abgeleitet, um erst in einem weiteren Arbeitsschritt auf Grundlage dieser Pläne wiederum 3D-Modelle zu konstruieren. Offensichtlich ist es zur Zeit noch einfacher und präziser, auf der Grundlage von 2D-Geometrien ein 3D-Modell neu zu modellieren, als einen kontinuierlichen Arbeitsprozess in der dritten Dimension zu verfolgen.

Und letztlich bestehen insbesondere im Hinblick auf die Bearbeitung, Veröffentlichung und Nachnutzung von 3D-Daten nach wie vor Probleme: um effektiv mit großen Punktwolken oder 3D-Modellen arbeiten zu können, muss neben leistungsfähigen Rechnern vor allem anwenderorientierte Software zur Verfügung stehen. Für einen vollständigen 3D-Arbeitsprozess werden spezielle 3D-Programme, u.a. für die Erfassung und Prozessierung von Punktwolken, für die Modellierung sowie für die Weitergabe und Präsentation von 3D-Daten benötigt. Bisher hat sich kein Daten-Format als offener Standard für die Bearbeitung und Präsentation von 3D-Geometrien etablieren können, sodass eine langfristige Verfügbarkeit der Daten nicht gesichert ist.

3D-Daten sind ausschließlich digital, d.h. am Rechner nutzbar und scheiden damit für gedruckte, "analoge" Publikationen aus. Ob und wie lange die derzeitigen Datei-Formate und die jeweils benötigten Programme auch in Zukunft unterstützt und weiterentwickelt werden, ist ungewiss. Eine Lösung für eine langfristige Bereitstellung von 3D-Daten ist derzeit nicht verfügbar oder absehbar, aus diesem Grund werden 3D-Modelle oft nur in einzelnen Ansichten oder Perspektiven veröffentlicht, wodurch der hohe Informationsgehalt der räumlichen Daten verloren geht bzw. nicht für weitere Forschungen zur Verfügung steht. Die klassische 2D-Darstellung ist nach wie vor für die Publikation von Bauforschungsergebnissen unentbehrlich.

Alles 3D?

Zahlreiche Beiträge auf Fachtagungen sowie eigene Erfahrungen machen deutlich, dass sowohl 3D-Aufnahmetechniken als auch 3D-Bearbeitungswerkzeuge einen Mehrwert für die Bauaufnahme und die Bauforschung erbringen können. Insbesondere automatisierte Aufnahmeverfahren haben das Potential, den Prozess der Bauaufnahme nachhaltig zu verändern. Sie ermöglichen die Generierung hoch aufgelöster, uninterpretierter 3D-Geometrieabbilder des Originals, die als Grundlage für die Bestandserfassung dienen können. Die eigentliche Vermessung der Geometrie wird dabei immer mehr zu einem technischen Vorgang, der aus der Bauaufnahme/ Bauforschung ausgegliedert werden kann. Keinesfalls darf diese Änderung im klassischen Arbeitsablauf jedoch dazu führen, auch das Beobachten, Zeichnen und Interpretieren, also die eigentliche Bauaufnahme, am digitalen 3D-Abbild durchzuführen. Den Ausgangspunkt für die Untersuchungen bildet nach wie vor das reale Objekt. Die geometrischen Grundlagen hierfür können mit Hilfe automatisierter Aufnahmeverfahren aber sehr schnell und mit einer hohen Informationsdichte im Vorfeld der eigentlichen Bauaufnahme erfasst werden. Die automatisierten Aufnahmeverfahren sowie ein effizienter Umgang mit den 3D-Informationen können somit zu mehr Zeit für die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem bzw. an dem Objekt führen. Darüber hinaus besteht auch zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit zum Rückgriff auf zusätzliche geometrische Informationen im digitalen Abbild. An den Grundprinzipien der Bauforschung hat sich durch den Einsatz der neuen 3D-Techniken jedoch kaum etwas geändert.

Bauabläufe oder Rekonstruktionen lassen sich zwar in einem 3D-Abbild oder in einem konstruierten 3D-Modell ggf. leichter überprüfen als am Original, und das Arbeiten in einer virtuellen 3D-Welt ist deutlich flexibler als in einem fest definierten 2D-Plan, jedoch ist und bleibt Bauforschung im Wesentlichen eine Denkarbeit. Für die Entwicklung einer These kann das Untersuchungsobjekt selbst, genauso wie ein 3D-Modell oder auch ein 2D-Plan als Arbeitsgrundlage dienen. Im einfachsten Fall reichen Fotos, Skizzen und Beschreibungen, um zu einer relevanten Aussage über ein Bauwerk zu gelangen. Entscheidend für das Ergebnis einer bauforscherischen Untersuchung ist weder der aufwändig erstellte, "schöne" Bauaufnahmeplan noch die beeindruckende 3D-Visualisierung der Rekonstruktion, sondern viel mehr der Erkenntnisgewinn in der Aussage des Bearbeiters. Die neuen Werkzeuge und Verfahren sind daher als eine Erweiterung des klassischen Methodenrepertoires in der Bauforschung zu sehen - von einer grundlegenden Änderung im Arbeitsprozess kann hier jedoch (noch) nicht gesprochen werden. Zumal für einen unkomplizierten Umgang mit 3D-Daten und deren Publikation angepasste Software sowie programmübergreifende, einheitliche Standards weitgehend fehlen. Derzeit kann das Potential dreidimensionaler Daten für die Analyse, Auswertung und Präsentation nur ansatzweise genutzt werden.

Ein Vortrag von Manfred Schuller auf der Tagung von "Handaufmaß bis Hightech - Aufnahmeverfahren in der historischen Bauforschung" vor nunmehr 12 Jahren lautete: "Mehr denken statt nur Messen" (Schuller, 2001). Der sinnvolle und effiziente Einsatz der neuen (Aufnahme-)Techniken könnte genau dies bewirken: weniger Zeit auf die reine Vermessung zu verwenden und dafür mehr Zeit für die Untersuchung, Interpretation und Wertung des Objektes zu haben - die eigentliche (Bau-) Forschung. Somit müsste die Forderung in aktualisierter Form heute lauten: Mehr messen (lassen) und deshalb mehr denken (können).

Literatur

3D-Arch: Tagungen und Workshops der Internationalen Gesellschaft für Photogrammetrie und Fernerkundung (ISPRS) unter dem Titel "3D-ARCH - 3D Virtual Reconstruction and Visualization of Complex Architectures": www.3d-arch.org (zuletzt besucht am 11. Januar 2013).

CIPA 2011: Proceedings of the XXIII CIPA Symposium - Prague, Czech Republic, September 2011, http://cipa.icomos.org/index.php?id=69 (zuletzt besucht am 11. Januar 2013)

Heine, K., Rheidt, K., Henze, F., Riedel, A.(Hrsg.): Von Handaufmaß bis High Tech III - 3D in der historischen Bauforschung. Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt/Mainz, 2011, ISBN 978-3-8053-4332-9.

Meckseper, C .: Zum Selbstverständnis der Baugeschichtsforschung. In: Baugeschichte und europäische Kultur 1, Forschung und Information, Colloquium-Verlag, Berlin 1985, S. 9 - 18.

Schuller, M.: Mehr Denken statt nur Messen. In: Weferling, U. et al (Hrsg.): Von Handaufmaß bis High Tech - Aufnahmeverfahren in der historischen Bauforschung. Verlag Philipp von Zabern, Mainz am Rhein, 2001, S. 217.