Geoarchäologie - Beispiele interdisziplinärer Zusammenarbeit aus Sachsen

Von Christian Tinapp

Seit den späten achtziger und den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts haben sich in Deutschland zahlreiche Wissenschaftler der Geowissenschaften und der Archäologie unter dem Dach der Geoarchäologie zusammengefunden. Dies führte schließlich im Jahr 2004 zur Gründung des "Arbeitskreises Geoarchäologie", der neben zahlreichen weiteren Aktivitäten jährliche Tagungen organsiert und zudem dafür sorgt, dass auch auf den großen Tagungen der archäologischen Verbände, dem Geographentag und anderer Vereinigungen die aus diesem Ansatz entstehenden Chancen vermehrt wahr genommen werden.

In nur kurzer Zeit hat sich die Geoarchäologie als eigenständige Wissenschaft etabliert, die auf einer intensiven interdisziplinären Zusammenarbeit basiert. Mittlerweile sind an verschiedenen Universitäten Geoarchäologie-Studiengänge entstanden, in denen sowohl geowissenschaftliche als auch archäologische Kenntnisse vermittelt werden.

Es gibt mittlerweile mehrere Definitionen des Faches Geoarchäologie (z. B. Rapp & Hill 1998). Aufbauend auf der gleichberechtigten Rolle von beiden Wissenschaften wird sie hier als die "Anwendung geowissenschaftlicher Konzepte in der Archäologie und archäologischer Konzepte in den Geowissenschaften zur Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Mensch und Landschaft in verschiedenen Epochen" verstanden (vgl. Tinapp 2002). Schwerpunkte geoarchäologischer Forschung bilden neben der Fundstellensuche die Aufnahme und Interpretation archäologischer Strukturen und ihrer Verfüllungen sowie die Erforschung der Entwicklung der Geofaktoren Boden, Relief und Wasser unter Einfluss des Menschen.

Parallel zur Geoarchäologie hat sich aus der Archäologie heraus die Disziplin Landschaftsarchäologie gebildet. "Landschaftsarchäologie ist die von archäologischen Fragestellungen ausgehende Erforschung der Kulturlandschaftsgenese, dass heißt des von Menschen beeinflussten Wandels der verschiedenen Bestandteile einer Landschaft: Vegetation, Oberflächengestalt, Böden, Besiedlung..." (Haupt 2011, S. 9). Wie durch diese Definition deutlich wird, beruht der Unterschied zur Geoarchäologie in der Beschränkung auf archäologische Fragestellungen. Die hier erkennbare Diversifizierung in immer kleinere Forschungsbereiche, also eine Geoarchäologie mehr für Geowissenschaftler und eine Landschaftsarchäologie für Archäologen steht konträr zum interdisziplinären Ansatz beider Fachrichtungen. Da die Geoarchäologie offen ist für Fragestellungen aus der Archäologie und den Geowissenschaften kann sie ein Dach für alle in diesem Bereich Tätigen sein. Gerade die Konfrontation mit den Fragestellungen aus anderen Disziplinen, ob aus den Geowissenschaften oder Archäologie, ermöglicht Ergebnisse, die über die Fachgrenzen hinaus Anerkennung finden und so verhindern, dass sich widersprechende Ansichten entstehen und gepflegt werden.

Während die Fundstellensuche zweifellos vorwiegend den Charakter einer Hilfswissenschaft für die Archäologie hat, liegt in den beiden anderen Arbeitsfeldern reichlich Potential sowohl für Archäologen als auch für Geowissenschaftler. Die Interpretation von verschiedenen Einheiten einer Grubenverfüllung geschieht im Grabungsalltag meist auf der Basis einer Feldbeschreibung und häufig ohne grundlegende Kenntnisse sedimentologischer und pedogener Prozesse und deren Ausprägungen. Hier helfen geowissenschaftliches Knowhow bei der Geländearbeit und bei eventuell später durchgeführten geochemischen oder mikromorphologischen Verfahren zur Identifizierung makroskopisch nicht erkennbarer Phänomene oder der genaueren Charakterisierung der verschiedenen Einheiten. Gleichzeitig bieten Archäosedimente manche Chance für Fragestellungen zur genetischen Bodenkunde, also z. B. in welchen Zeiträumen und wie stark Prozesse ablaufen oder ob es z. B. zum Zeitpunkt der anthropogenen Aktivität bereits Tonverlagerung gab oder nicht. Damit können dann auch wiederum archäologische Fragen nach der früheren Bodengüte und der generellen Siedlungsgunst oder -ungunst beantwortet werden.

Karte

Abb. 1:
Übersichtskarte Mitteldeutschland mit Lössbedeckung und Position der Grabungen
NKY-34 und KOQ-01 (nach Eissmann 1997)

Geoarchäologische Untersuchungen an der Kreisgrabenanlage bei Kyhna in Nordwestsachsen haben bereits zum besseren Verständnis der Bauweise, der Auflassung und des Verfalls eines der frühesten Großbauwerke beigetragen (Stäuble 2007). Nach der Entdeckung des Bodendenkmals durch ein Luftbild von O. Braasch in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde 2007/2008 eine alle vier Gräben schneidende Fläche mit einem Bagger aufgezogen und gegraben (NKY-34, vgl. Abb. 1, 2 und 3). Die Grabenverfüllungen wurden detailliert dokumentiert und mit Hilfe von geochemischen sowie geophysikalischen Analysen interpretiert (Kinne et al. 2012).

Luftbild

LupeAbb. 2
Die vierfache Kreisgrabenanlage von Kyhna im Luftbild mit der Position der Grabungsfläche (LfA Sachsen)

Grabungen

LupeAbb. 3
Arbeitsfoto während der Ausgrabungen, Blickrichtung Nordwest (Foto LfA Sachsen)

Sicher nachgewiesen ist die Existenz von Palisaden im Zentrum der Anlage und das Vorhandensein von konzentrischen Gräben. Das genaue Aussehen dieser stichbandkeramischen Großbauten ist aber bis heute unklar (Bartels et al. 2003). So wird postuliert, dass der Aushub aus den Gräben weggebracht wurde (Trnka 1991), andere vermuten, dass zwischen den Gräben Wälle aufgeschüttet waren.

Die Kreisgrabenanlage von Kyhna wurde östlich von Delitzsch (Kreis Nordsachsen) auf einer ausgedehnten Grundmoränenplatte angelegt. Über den carbonathaltigen Geschiebemergeln liegt ein Meter Lösslehm, aus dem sich schwarzerdeähnliche Böden entwickelt haben. Die Gräben erreichen Tiefen von über 2 Metern. Im untersten Bereich handelt es sich um Spitzgräben, die in den Geschiebemergel gegraben wurden. Weiter oben gehen die Gräben in Sohlengräben über, die Verfüllung ist dort deutlich humoser (vgl. Abb. 4).

Gräben

LupeAbb. 4
Graben 1 mit Kohlenstoff und Carbonatgehalt (C-/CO3) und den Ton, Schluff und Sandanteilen
(T, U, S) (Kinne et al. 2012)

Die verschiedenen Einheiten der Kreisgrabenverfüllung drücken sich auch bei der Verteilung der Korngrößen, dem Kohlenstoff- und dem Carbonatgehalt aus. Die z. T. rhytmisch wechselnden Ablagerungen im Tiefsten des Spitzgrabens deuten auf limnische Phasen hin, die durch Einschwemmungen und Abbruchmaterial von den Grabenwänden gestört werden. An der Grenze vom Spitz- zum Sohlgraben verändert sich die Grabenfüllung. Sie wird deutlich humoser und ist weniger gegliedert. Gleichzeitig sinkt der Carbonatgehalt fast bis an die Nachweisgrenze und der Tonanteil am Korngrößenspektrum steigt. Die jüngste Verfüllungsphase beginnt mit carbonathaltigem Material, dass dann in ein relativ homogenes, humoses Substrat übergeht, welches den schwarzerdeähnlichen Böden der Umgebung gleicht.

Aufgrund dieser Beobachtungen und der Resultate der geochemischen und geophysikalischen Untersuchungen lassen sich drei Entwicklungsphasen der Gräben rekonstruieren. Die Spitzgrabenfüllung stammt aus den ersten Jahren nach dem Bau der Anlage. Die geringen organischen Gehalte belegen geringe Einträge von oberflächlich anfallendem Pflanzenmaterial. Erst nach der quasinatürlichen Verfüllung des untersten Grabenteils beginnt eine Phase langsamerer Verfüllung mit organischem Material. Die erhöhten Tonanteile deuten darauf hin, dass zeitweise stehendes Wasser auftrat. Hier könnte bereits die Auflassungsphase dieser Anlage begonnen haben. Die Verfüllung der übrig gebliebenen Hohlform geschah zumindest teilweise intentionell. Eventuell wurde mithilfe des noch in den Resten der Wälle befindlichen Materials das Gelände ausgeglichen und damit landwirtschaftlich nutzbar gemacht. Die bei drei von vier Gräben nachgewiesenen Brocken aus Geschiebemergel können nur durch Grabtätigkeit dorthin gekommen sein, erosiv ist dies nicht möglich. Dies ist auch ein Hinweis auf das Vorhandensein von Wällen zwischen den Gräben.

Die geoarchäologischen Untersuchungen zur vierfachen Kreisgrabenanlage von Kyhna erbringen so Informationen, die Rückschlüsse auf die Bauweise, die Nutzung und den Verfall solcher Anlagen zu lassen.

In vielen geoarchäologischen Untersuchungen werden weltweit Beiträge zur Rekonstruktion der Geofaktoren Relief, Boden und Wasser unter Einflussnahme des Menschen geliefert. Ganz entscheidend ist hier die unmittelbare Zusammenarbeit mit der Archäologie. Ein gutes Beispiel bildet die in Sachsen seit Jahren praktizierte Zusammenarbeit bei großen Grabungsprojekten.

Siedlung

Abb. 5:
Blick vom Südostrand der stichbandkeramischen Siedlung zur Talsenke des Salzbaches
(Foto LfA Sachsen)

Im Vorfeld des Baus der BAB72 von Chemnitz nach Leipzig wurden mehrere vorgeschichtliche Siedlungsplätze entdeckt (Steinmann 2007/2009). Eine dieser Stellen ist eine stichbandkeramische Siedlung am Nordrand des Mulde-Lösshügellandes bei Geithain (KOQ-01, vgl. Abb. 1 und 5). Die Fundstelle befindet sich am Ober- und Mittelhang einer kleinen Erhebung in unmittelbarer Nähe zu einem östlich gelegenen Trockental. Somit ergab sich die nicht so häufige Chance, in unmittelbarer Nähe zur knapp 7000 Jahre alten Siedlung korrelate Sedimente zu finden.

Ausdehnung und Tiefe der Senke wurden mit Hilfe mehrerer Geländeschnitte erfasst. Mehrmals konnten organische Lagen unter über zwei Meter mächtigen Kolluvien entdeckt werden. An einer Stelle befanden sich zwei fossile Ah-Horizonte, getrennt von einem 0,5 Meter mächtigen Kolluvium (Abb. 6). Oberhalb des oberen fAh-Horizontes bewies blaugraue Keramik ein zumindest spätmittelalterliches Alter der darüber liegenden Solumsedimente.

Salzbachtal

LupeAbb. 6
Die Sedimente im Salzbachtal: Über jungweichselzeitlichem Schwemmlöss befindet sich eine an den Beginn der Bronzezeit datierende Humusanreicherungszone (Y: ETH-34658, 2150-1900BC, X: ETH34650, 1430-1640AD). Die darüber abgelagerten, einen halben Meter mächtigen Kolluvien entstanden bis zum Beginn der Frühen Neuzeit, darüber folgen über zwei Meter neuzeitliche Kolluvien.

Holzkohlepartikel in den Humusanreicherungszonen dienten zur Altersbestimmung. Daraus ergibt sich ein Alter von 2150-1900BC (ETH34658) für den untersten kolluvialen Komplex, somit datieren die ältesten korrelaten Ablagerungen in der Senke in das Subboreal bzw. in die Frühbronzezeit. Die jüngere Humusanreicherungszone ist wesentlich jünger und kann in das Spätmittelalter bzw. in die Frühe Neuzeit eingeordnet werden (ETH34650: 1430-1640AD).

An diesem Beispiel wird deutlich, dass auch unter günstigen Voraussetzungen wie hier nicht immer ein Bezug zwischen der Existenz vorgeschichtlicher Siedlungen und den nahen korrelaten Sedimenten hergestellt werden kann. Da das Gebiet nahe der Wasserscheide liegt, ist nicht mit größeren Tiefenerosionserscheinungen zu rechnen, die korrelate Ablagerungen abgetragen haben könnten. Daher dürften die landwirtschaftlichen Nutzflächen des stichbandkeramischen Dorfes wohl im Norden oder Westen der Siedlung gelegen haben. Eine frühbronzezeitliche Besiedlung ist hier bisher nicht nachgewiesen, daher bleibt der Auslöser der ersten Erosionsphase im Dunkeln. Offenbar ist es aber zwischen dem Ende des Neolithikums und der Bronzezeit zu einer Aktivierung erosiver Prozesse gekommen, ausgelöst durch großflächige Rodungen. Aus dem Rheinland berichten Gerlach & Eckmeier (2012) von ähnlichen Vorgängen im späten Neolithikum. Dies führen sie auf die erste flächige Rodungsphase mit darauf folgender extensiver Weidewirtschaft zurück. Ob dies nur ein Zufall oder aber ein in allen mitteleuropäischen Lösslandschaften feststellbares Phänomen ist, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten.

Beide Beispiele zeigen die Potentiale geoarchäologischer Forschung und machen deutlich, dass auf diesem Weg viele bisher offene Fragen der Archäologie und der Geowissenschaften geklärt werden können, wenn man die Methoden und die Kompetenzen der jeweiligen Partnerwissenschaft nutzt und anwendet.

Literatur

Bartels, R.; Brestrich, W.; de Vries, P.; Stäuble, H. (2003): Ein neolithisches Siedlungsareal mit Kreisgrabenanlagen bei Dresden-Nickern. Eine Übersicht.- Arbeits- u. Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege 45, S. 97-133.

Eissmann, L. (1997): Das quartäre Eiszeitalter in Sachsen und Nordostthüringen.-Altenbg. nat.wiss. Forsch., Altenburg, 8.

Gerlach, R. & Eckmeier, E. (2012): Das Problem der Schwarzerden im Rheinland. In. Stobbe, A. & Tegtmeier, U. (Hrsg., 2012): Verzweigungen.- Frankfurter archäologische Schriften 18, S. 105-124.

Haupt, P. (2011): Landschaftsarchäologie.- Darmstadt.

Kinne, A, Schneider, B., Stäuble, H., Tinapp, C. (2012): Ein zweiter Schnitt durch Kyhna. Untersuchungen an der vierfachen Kreisgrabenanlage. In: Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege, Beiheft 24, Ausgrabungen in Sachsen 3, S. 18-24.

Rapp, G. & C. L. Hill (1998): Geoarchaeology - The Earth-Science Approach to Archaeological Interpretation.- New Haven und London.

Stäuble, H. (2007): Ein gelungener Schnitt.- Archaeo 4, S. 12-13.

Steinmann, C. (2007): Ein bandkeramische Siedlungslandschaft - Fundstellen der ersten Ackerbauern entlang der Autobahn A72 zwischen Rathendorf und Frohburg.- Archäo 4, S. 14-19.

Steinmann, C. (2009): Eine neue neolithische Siedlungsregion im Mulde-Lösshügelland.- In: Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege Beiheft 20, S.16-24)

Tinapp, C., 2002. Geoarchäologische Untersuchungen zur holozänen Landschaftsentwicklung der südlichen Leipziger Tieflandsbucht. Trierer Geographische Studien 26, Trier.

Trnka, G. (1991): Studien zu mittelneolithischen Kreisgrabenanlagen. Wien.