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History Marketing

Die Erschließung historischer Quellen für Unternehmen, Vereine und Verbände als Arbeitsfeld für Akademiker mit geschichtswissenschaftlichem Hintergrund

Von Roland Leikauf

History Marketing: Was ist das?

History Marketing ist wissenschaftsbasierte Ressourcengewinnung. Kerngedanke dieser Geschichtsdienstleistung ist es, für Unternehmen, Vereine und Verbände die eigene Geschichte als Ressource zu erschließen (Ab hier wird immer von Unternehmen gesprochen, gemeint bleiben aber alle Arten nichtmenschlicher Entitäten wie Vereine, Verbände, Genossenschaften etc.). Erfolge wie Krisen eines Unternehmens schaffen den einzigartigen Charakter der Organisation und aus diesen Ereignissen erwächst auch die gegenwärtige Mentalität eines Unternehmens. Für Mitarbeiter und Kunden ist die geschichtliche Dimension eines Unternehmens der zentrale Identifikations- und Orientierungspunkt. Wer wir waren, wer wir sind: Was erklärt die Handlungen und Absichten der Gegenwart und die Strategien für die Zukunft besser als die Fakten der Vergangenheit?

Der zentrale Kern des History Marketing ist die USP, jene Unique Selling Proposition (wahlweise auch Veritabler Kundenvorteil oder Komparativer Konkurrenzvorteil), die einem Unternehmen in der globalisierten Welt unschätzbare Vorteile bietet. In diesem Markt, in dem Unternehmen durch Übernahmen und immer schnellere Veränderungen oft viel von ihrer Identität verlieren, ist die USP das entscheidende Unterscheidungsmerkmal. Die USP unterfüttert viele Bereiche der Unternehmenskommunikation mit Bedeutung und Inhalt, die sonst leer und aufgesetzt klingen würden.

Geschichte als USP steht gegen die vorherrschende Meinung, Geschichtlichkeit und Tradition seien mit Progressivität und jugendlichem Image nicht zu vereinbaren. Viele erfolgreiche Konzerne beweisen in dieser Hinsicht täglich das Gegenteil.

Wissenschaft?

History Marketing ist im Kern geschichtswissenschaftlicher Umgang mit Quellen. Die Auswertung, Aufbereitung, Verwaltung und Anwendung der Quellen eines Unternehmens zählen zu ihren Aufgaben. Zur Hauptarbeit gehört es, Bücher und Publikationen für Jubiläen, besondere Ereignisse oder über herausragende Persönlichkeiten zu erstellen.

Diese müssen verständlich sein, auf die Zielgruppe abgestimmt werden und allen Ansprüchen des geschichtswissenschaftlichen Vorgehens genügen. Ebenso wichtig ist es, historische Quellen eines Unternehmens für die Zukunft aufzubereiten, even-tuell in einem Archiv zu erfassen und auch für Laien recherchierbar zu machen.

Wenn der Aufwand nicht gescheut wird, sind die Ergebnisse der Recherche auch permanent zu machen: Aus dem Recherchekatalog wird der Nukleus eines Archivs, aus der Wander- eine Dauerausstellung, aus dem einmaligen Fest mit Präsentation der Firmengeschichte eine dauerhafte Einrichtung.

Wer im History Marketing arbeitet, möchte vor allem historisch-marketingtechnische Gesamtkonzepte entwickeln und in der Praxis umsetzen: unternehmensübergreifende Konzepte, die jede Form der internen und externen Kommunikation mit einschließen.

Stichwort Public History

Public History ist ein aus den Vereinigten Staaten stammender Geschichtsansatz, der aus der schlechten Arbeitsmarktsituation für Historiker in Amerika erwachsen ist und die Bedürfnisse der Öffentlichkeit ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt. Neben der starken Ausrichtung auf potentielle Kunden hat die Public History aber die interne (und externe) Diskussion über ihre eigentlichen Kerneigenschaften noch lange nicht abgeschlossen.

Viel öfter als in Deutschland ist Public History in Amerika "Ligitation History": Hintergrundrecherche für anstehende Gerichtsprozesse, z.B. bezüglich von Patentstreitigkeiten, Erbschaftsauseinandersetzungen u.ä.

Geschichtlicher Mehrwert durch History Marketing?

Auch wenn es manchen Historiker auf den ersten Blick nicht so erscheint, bietet das History Marketing in vielerlei Hinsicht einen historischen Mehrwert für ihre Wissenschaftsdisziplin. Die Chance, geschichtliche Entwicklungen von Unternehmen aufzuarbeiten, bietet sich oft nur zu bestimmten Zeiten (Jubiläen, Umzüge, Neueröffnungen etc.). Diese Gelegenheiten dürfen nicht ungenutzt verstreichen und es ist die Aufgabe von Historikern, sie zu nutzen. History Marketing ist auch Quellensicherung und Vermittlung geschichtswissenschaftlicher Wertvorstellungen: Der im HM Tätige hat die Pflicht den Unternehmen zu vermitteln, wo die Wissensschätze ihrer Organisationen liegen - und wie sie damit verfahren sollen.

Im Idealfall kann der im HM Tätige also Geld verdienen und gleichzeitig einen Mehrwert für die Geschichtswissenschaft schaffen. HM ist und bleibt aber eine Dienstleistung: dessen muss sich der Geschichtswissenschaftler immer bewusst sein.

Anforderungen der Praxis

History Marketing bedeutet Agenturarbeit: Termindruck ist Standard, die Zeit ist per Definition knapp, Überstunden sind die Regel, Flexibilität Pflicht. Der Kunde unterschätzt die Zeit (fast) immer, kann sich dies im Gegensatz zum Historiker aber leisten. Unternehmen sind Entitäten mit für Außenstehende oft verblüffend individuellen Regeln, Normen und Vorstellungswelten. Sich schnell in diese Kontexte einfinden zu können, ist im History Marketing unabdingbar. Sprache und Habitus müssen an den Anspruch des Kunden angepasst werden. Wenn sich die Kommunikation und das kreative Konzept von Kunde und Ausführendem nicht (genug) überschneiden, gibt es keine Zusammenarbeit, keinen Auftrag - und damit kein Geld. Ob ein Projekt genehmigt wird, entscheidet der Vorstand. Wer nicht in der Lage ist, diesem auf Augenhöhe die eigenen Vorstellungen auseinanderzusetzen, wird auch keinen Auftrag erhalten.

Auch wenn die Rechercheergebnisse (teilweise!) anderweitig verwendbar sind, kommen auch Eigenproduktionen zu Stande: Das Produkt richtet sich nach den Bedürfnissen des Kunden (und damit nach den Bedürfnissen der Zielgruppe, auf die dieser es abgestimmt sehen will). Der Historiker ist damit zwar Herr seiner Arbeit, aber nicht Herr seines Produkts. Skepsis zu den Problembereichen des Marketing ist dabei akzeptabel, wer diesem Bereich der Unternehmenskommunikation aber grundsätzlich zweifelnd gegenübersteht, kann schwerlich im HM tätig werden.

Die Kernfrage: Why do I need you, anyway?

Jeder im HM Tätige muss in der Lage sein, diese Frage zu beantworten. Die meisten Unternehmen besitzen eigene PR- und Marketingabteilungen, Angestellte in der Pressestelle u.ä, die die Aufgaben der HM-Agentur gerne übernehmen würden (und auch in der Praxis oft in die Projekte involviert sind). Was also ist der Mehrwert, eine externe Agentur zu beauftragen? Wofür benötigt ein Unternehmen den Historiker? Und sind die Antworten, die auf die Fragen gegeben werden, wirklich am Selbstverständnis des Unternehmens ausgerichtet oder am Selbstver-ständnis des Akademikers?

Ethik, Stigma, Arbeitsalltag

Viele der genannten Punkte sorgen dafür, dass der im History Marketing Tätige oft unter unfokussiertem Generalverdacht steht. "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing'" steht als Grundannahme unausgesprochen im Raum. Nur der Historiker selbst kann versuchen, diese Zweifel zu zerstreuen: Indem er über die Praxis des HM aufklärt, sich an die ethischen Grundsätze seiner Disziplin hält, und Vorwürfen ruhig und mit Argumenten entgegentritt. Gleichzeitig darf er nicht verschweigen, dass es im HM schwarze Schafe gibt, die all dies nicht beachten.

Die ethische Kernfrage des HM ist immer: Wo wirkt sich die Einflussnahme des Kunden auf die wissenschaftliche Aufarbeitung der historischen Inhalte zu sehr aus? Wo werden Grenzen überschritten? Selling History ohne wissenschaftsethische Basis bringt langfristig sowohl für den Historiker als auch für den Kunden Nachteile mit sich. Verschweigen von Geschichte macht angreifbar: Die Zwangsarbeiterdebatte hat zumindest einen Teil der Unternehmen aufgerüttelt und sie dazu bewogen, ihre Vergangenheit adäquat aufzuarbeiten.

Fazit

History Marketing ist eine relativ junge Geschichtsdienstleistung, die auf dem Wert der Geschichte für jede Form der Außen- und Innenkommunikation besteht. Der Historiker im History Marketing ist ein Dienstleister, der sich jedoch nicht aus seiner Verantwortung gegenüber Wissenschaftsethik und den professionellen Anforderungen seiner Disziplinstehlen kann. Die Praxis des History Marketing ist so ethisch, wie sie der Wissenschaftler macht. Dass dabei Schwierigkeiten und Widerstände zu überwinden sind, versteht sich von selbst.

Literaturauswahl

Berghoff, Hartmut. Moderne Unternehmensgeschichte. Eine themen- und theorieorientierte Einführung. Paderborn [u.a.]: Schöningh, 2004.

Bookspan, Shelley. Public history as reflective practice. Berkeley: University of California Press, 2006.

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Christen, Catherine A. Environmental history as public history. Berkeley: University of California Press, 2004.

De la Fontaine, Jork. Das Firmenjubiläum. Marketing-Kommunikation zu einem besonderen Anlaß für Unternehmen, Verbände, Institutionen. Neuwied [u.a.]: Luchterhand, 1999.

Frey, Alfred Georg. "Geschichte ist öffentlich: Public History-Grundlagen, Ansätze und Perspektiven eines neuen Lehrgebietes." Kulturpädagogik. Berufsbild, Qualifikationsansprüche und Positionen. Edited by Johann Bischoff and Bettina Brandi. Merseburger medienpädagogische Schriften (2005): 256-266.

Gries, Rainer. Produkte & Politik. Zur Kultur- und Politikgeschichte der Produktkommunikation. Wien: WUV, 2006.

Gries, Rainer. Produkte als Medien. Kulturgeschichte der Produktkommunikation in der Bundesrepublik und der DDR. Leipzig: Leipziger Universitäts Verlag, 2003.

Hellmann, Kai-Uwe. Soziologie der Marke. 2. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005.

Herbst, Dieter. Public Relations. Konzeption und Organisation, Instrumente, Kommunikation mit wichtigen Bezugsgruppen. Berlin: Cornelsen, 2007.

Koch, Anne. Museumsmarketing. Ziele - Strategien - Maßnahmen. Bielefeld: Transcript, 2002.

Konrad, Heiko. Sozial- und Geisteswissenschaftler in Wirtschaftsunternehmen. Wiesbaden: DUV, 1998.

Michalowski, Christian. Wertorientierte Unternehmensführung: History Marketing und dessen Einflussbereiche. 1. Auflage, VDM Verlag Dr. Müller, 2007.

Pierenkemper, Toni. Unternehmensgeschichte. Eine Einführung in ihre Methoden und Ergebnisse. Stuttgart: Steiner, 2000.

Pohl, Manfred. Unternehmen und Geschichte. Mainz: v. Hase, 1992.

Rauthe, Simone. Public history in den USA und der Bundesrepublik Deutschland. Essen: Klartext Verlag, 2001.

Schug, Alexander. History marketing. Ein Leitfaden zum Umgang mit Geschichte in Unternehmen. Bielefeld: transcript, 2003.

Internetadressen

American Association für State and Local History

American Historical Association

GUG - Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.

H-Public Discussion Network

National Council on Public History

Organization of American Historians

Institut für Firmen- und Wirtschaftsgeschichte.

Master in Public History an der Universität Berlin / Friedrich-Meinecke-Institut