Schriften des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler, Band 4

Arbeitsfeld Kultur.

Kompetenzen, Anforderungen und Perspektiven in einem wachsenden Berufsfeld

Herausgegeben von Stefan Nies und Bernd Oeljeschläger

Platzhalter

Vom "lustvollen Gründen" zum Burnout?
Schlaglichter auf das "Arbeitsfeld Kultur" und ein visionärer Ausblick in die "Kulturgesellschaft"

Der Tagungsbericht

Von Martina Padberg

Der Kulturarbeitsmarkt wächst, die Nachfrage nach kulturrelevanten Dienstleistungen steigt. Kein Wunder, dass immer mehr junge Kulturwissenschaftlerinnen und Kulturwissenschaftler aus ganz unterschiedlichen Disziplinen über freiberufliche Existenzgründungen nachdenken und diese auch wagen. Aber wie geht man eine solche Unternehmensgründung eigentlich am besten an? Mit welcher Motivation, mit welchen Zielsetzungen und Strategien baut man sein eigenes Büro auf? Wird sich die Ich-AG nach den ersten Jahren wirtschaftlich tragen, oder stolpert man eher in die Falle der Selbstausbeutung? Riskiert man statt der erhofften Verwirklichung der eigenen Ideen gar einen Burnout durch permanente Überbelastung? Um zu ersten Antworten und damit zu einer Bestandsaufnahme der momentanen Arbeitssituation freiberuflicher Kulturwissenschaftler zu gelangen, lud der BfK am 27. und 28. Mai zu einer Tagung unter dem Titel "Arbeitsfeld Kultur. Kompetenzen, Anforderungen und Perspektiven in einem wachsenden Berufsfeld" nach Berlin in das Deutsche Historische Museum (DHM) ein. Die rund hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Vortragssaal des DHM dokumentierten das große Interesse an dieser Thematik und den Wunsch, über das eigene Tun gemeinsam nachzudenken.

Vortragssaal

Wer sind wir und was treibt uns an?

Dabei divergierte das Bild, das die vier Referentinnen und Referenten des ersten Tages von der freiberuflichen Existenz in der Kulturwirtschaft zeichneten, erheblich: Alexander Schug, promovierter Historiker und Verleger, beschrieb zum Auftakt recht plakativ den Typus des kreativen "Young Urban Kulturwissenschaftler", der sich durch eine innovative Geschäftsidee und die Bereitschaft, zu deren Realisierung auch ganz neue Wege zu beschreiten, definiert. Er erfindet sich selbst, indem er ein möglichst interessantes Arbeitsfeld kreiert, sich geschickt vernetzt und etwa durch die Nutzung von Co-Working-Spaces oder durch eine moderne Form der Tauschökonomie die am Anfang besonders knappen Finanzmittel spart: Gestaltest du mir eine Homepage, dann texte ich dir einen Folder! Schug forderte in seinem durchaus Mut machenden Vortrag dazu auf, sich als Freiberufler auch bewusst frei zu fühlen, das heißt, die eigene berufliche Zielsetzung und die damit verbundenen persönlichen Erfolgsvorstellungen tatsächlich selbst zu definieren! Will man ein möglichst schnelles Wachstum des eigenen Unternehmens anstreben oder lieber bewusst klein bleiben? Akzeptiert man die Belastungen einer 60-Stundenwoche oder ist eine ausgewogene Work-Life-Balance wichtiger? Misst sich der Erfolg ausschließlich am Umsatz oder auch daran, dass man ein Herzensprojekt zu einem guten Ende geführt hat? Und: Auch das Scheitern kann eine wichtige Erfahrung sein! Zeigt sich die erste Idee als nicht tragfähig, gelingt vielleicht im zweiten Anlauf die Realisierung eines wirtschaftlich ertragreichen Modells.

Daran anknüpfend referierte Birgit Mandel, Professorin und Leiterin des Studienbereiches Kulturmanagement und Kulturvermittlung an der Universität Hildesheim, über die Ergebnisse ihrer empirischen Untersuchungen zu den Motiven, Visionen und Erfolgsstrategien bei jungen Kulturunternehmerinnen und Kulturunternehmern. Sie stellte fest, dass die eigene berufliche Zufriedenheit unter Freiberuflern zumeist deutlich höher bewertet wird als unter Angestellten auf dem klassischen Arbeitsmarkt. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die selbständige Existenz häufig nicht in erster Linie nur dem Broterwerb dient, sondern als erfüllendes Lebensprojekt begriffen wird: Man tut nämlich im besten Falle genau das, was den eigenen Interessen und Neigungen entspricht und was man sich vielleicht schon während des Studiums gewünscht hat.

Wo lauern Gefahren und Fallstricke?

Wasser in den Wein kulturunternehmerischer Erfolgsstorys goss dann nach der Kaffeepause Veronika Mirschel, die als Hauptamtliche bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) im Referat Selbstständige und Freie auf Bundesebene für den Schwerpunkt Selbstständigenarbeit verantwortlich ist. Sie umriss sehr klar die Risiken und Schwierigkeiten freiberuflicher Existenzgründungen und schilderte die teilweise prekären Bedingungen, unter denen auf dem Kulturmarkt gearbeitet wird – und zwar vom Praktikanten bis zum Unternehmer. Um die Rahmenbedingungen freiberuflicher Kulturarbeit und insbesondere die soziale Absicherung vieler Freiberufler zu verbessern, so Mirschel, sollte man sich möglichst von Anfang an vernetzen, sich Bündnispartner suchen, politisch aktiv werden. Nicht zuletzt deshalb wurde das Referat Selbstständige und Freie bei ver.di implementiert: Aus Gewerkschaftsperspektive eigentlich ein Widerspruch in sich. Und, so kann man hinzufügen, aus genau denselben Gründen gründete sich vor nunmehr über zehn Jahren der BfK als Interessenvertreter der freiberuflichen Kulturwissenschaftler.

Zum Abschluss des ersten Tages plädierte der Sozialwissenschaftler und Entspannungspädagoge Rainer Alexander Spallek für einen ganzheitlichen Blick auf das eigene Tun. Die ständige Definition durch Arbeit und Beruf führe zu einer dauerhaften Abwertung aller anderen Lebensbereiche, zu Überforderung und Belastungsstress und schließlich im schlimmsten Fall zu Burnout und Arbeitsunfähigkeit. Derart nachdenklich gestimmt, endete der Tag dann ganz entspannt und durch vielerlei Gespräche sehr anregend bei einem Empfang in einem nahe gelegenen Restaurant.

Perspektive Kulturgesellschaft?

Am nächsten Morgen weitete sich der Blick geradezu visionär vom "Arbeitsfeld Kultur" auf die "Kulturgesellschaft". Dazu referierte zunächst Adrienne Goehler, zwölf Jahre Präsidentin der Hamburger Hochschule für bildende Künste und 2001/02 Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Berlin, die 2006 unter dem Titel "Verflüssigungen" ein Buch über mögliche Wege (und Umwege) vom Sozialstaat zur Kulturgesellschaft vorgelegt hat. Sie beschrieb die momentane Situation als eine Zeit des Übergangs, des "Nicht mehr" und des "Noch nicht", in der Arbeiten und Lernen grundsätzlich neu organisiert werden müssen. Denn: Zeichneten sich das 19. und 20. Jahrhundert durch Strukturierung und Institutionalisierung des Arbeits- und Gesellschaftslebens aus, so sei das 21. Jahrhundert durch projektorientierte Arbeits- und Existenzformen charakterisiert. An die Stelle des "Verwaltetwerdens" treten experimentelle Selbstverhältnisse, mit neuen Freiheiten, aber auch irritierenden Unsicherheiten. Feste Strukturen lösen sich überall im gesellschaftlichen Leben auf, neue Formen der Partizipation werden nachgefragt, ja eingefordert. In der Bewältigung dieses Umbauprozesses könnten, so Goehler, künstlerische Strategien, also Verfahren des Erfindens und Verwerfens, der kritischen Selbstreflexion, der offenen Formen des Sehens und Denkens und vor allem einer verantwortungsvollen Selbständigkeit, besonders hilfreich sein. Daher, so ihr Credo, darf die Kunst nicht länger ein artengeschütztes Konsumgut bleiben, sondern muss raus aus dem "Reservat" der Museen, der Galerien, der elitären Kulturszene und mitten hinein in die Gesellschaft. Nur so kann sich die menschliche Kreativität, nach Goehler der Rohstoff des 21. Jahrhunderts, entfalten und die immensen Probleme der Gegenwart bewältigen helfen. Um dem kreativen Potential der Menschen einen von sozialen Ängsten freien Raum zu geben, tritt sie für das bedingungslose Grundeinkommen ein.

Podium

Auf dem Podium: Martin Schmidt, Adrienne Goehler, Martina Padberg, Hans Lochmann, Renate Flagmeier und Ingrid Raschke-Stuwe

An diesen anregenden Impulsvortrag schloss sich eine Podiumsdiskussion an, die konkreten Ansätzen partizipativer Kulturarbeit nachging. In kurzen Eingangsstatements stellten Ingrid Raschke-Stuwe, Vorstand der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft in Bonn, Renate Flagmeier, leitende Kuratorin des Werkbundarchivs, Museum der Dinge in Berlin, und Hans Lochmann, Leiter der Geschäftsstelle des Museumsverbandes Niedersachen und Bremen e.V., ihre Arbeit und ihre Institutionen vor. Dabei zeigte sich deutlich, dass partizipative Arbeitsformen nicht nur angestrebt, sondern auch bereits praktiziert werden. So lobt die Montag Stiftung in diesem Jahr unter dem Titel "Faktor Kunst" einen Preis für partizipatorische Kunstprojekte aus, die in die Gesellschaft hinein wirken sollen. So experimentiert das Museum der Dinge schon seit vielen Jahren mit alternativen Formen musealer Präsentation und gewährt mit seinem offenen Depot einen Einblick in die Arbeit und das Selbstverständnis des Museums. So vernetzt der Museumsverband viele kleinere Häuser, stärkt dort partizipatorische Arbeitsansätze und regt zur Selbstreflexion an.

Immer dort, wo sich feste Strukturen "verflüssigen", entstehen neue, interessante Bewegungsräume. Für freiberufliche Kulturarbeit eröffnet sich damit ein hochinteressantes Feld. Freiberufler kennen und praktizieren Projektarbeit und Teambildung, sie verfügen über gewachsene Netzwerke, sie sind es gewohnt, Menschen und Ideen zusammenzubringen. So, auch das war eine Erkenntnis zum Schluss, wird die Arbeit auf dem Feld der Kultur, unsere Arbeit, weiter spannend bleiben. Denn die Kultur – ob nun im Reservat oder in der freien Wildbahn – reflektiert gesellschaftliches Leben, spiegelt unsere Wirklichkeit und entfaltet im besten Falle Kräfte zur Veränderung.