Schriften des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler, Band 4

Arbeitsfeld Kultur.

Kompetenzen, Anforderungen und Perspektiven in einem wachsenden Berufsfeld

Herausgegeben von Stefan Nies und Bernd Oeljeschläger

Platzhalter

Die Ideenmacher -
Lustvolles Gründen in der Kultur- und Kreativwirtschaft

Von Alexander Schug

Alexander Schug

Die Kultur- und Kreativwirtschaft boomt. Mit einem Jahresumsatz von weit über 100 Milliarden Euro ist sie bedeutender als beispielsweise die Chemiebranche oder andere Branchen in diesem Land. Das hat auch die Politik erkannt. Kulturstaatsminister Bernd Neumann machte in seiner Rede auf der Jahreskonferenz der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft in Berlin im November 2010 deutlich, dass Deutschland eine lebendige, aktive und expansionsfreudige Kultur- und Kreativwirtschaft braucht, und zwar nicht nur als Jobmotor, sondern vor allem auch wegen ihres großen Innovationspotenzials für unsere Gesellschaft. Das sind hehre Worte. Man sieht in der Kreativ- und Kulturwirtschaft die Zukunft einer wissensbasierten Ökonomie, die der modernen unternehmerisch angetriebenen Dienstleistungsgesellschaft entspricht. Über 230.000 Unternehmen sind offensichtlich der Vision der "wissensbasierten Ökonomie" bereits gefolgt, jedoch tun sich viele Kreative, besonders aus dem Bereich der Schriftstellerei und freien Kunst, damit noch sehr schwer. Sie verstehen sich selbst als autonome, zweckfreie und vor allem nicht-kommerzielle Akteure. Die Kritik der Frankfurter Schule an der so genannten Kulturindustrie mag da noch deutlich nachwirken. Wir erinnern uns: Kultur, so Horkheimer und Co., hat nur dann einen Wert, wenn sie kommerziell nicht verwertbar ist und sich den Erwartungen des Publikums entzieht.

Aber sollte man sich stattdessen nicht besser das marktorientierte Statement Goethes zu Gemüte führen: "Wer aber nicht eine Million Leser erwartet, sollte keine einzige Zeile schreiben." Vielleicht ist dies ebenfalls etwas hoch gegriffen, aber jeder große Künstler war auch ein Vermarktungsgenie und musste, wenn nicht mäzenatisch gefördert, arbeiten, verkaufen, sein Publikum finden und dieses immer wieder bei Laune halten. Meines Erachtens müssen wir uns so genannte Kreative damit anfreunden, dass wir einen der wichtigsten Wirtschaftszweige dieses Landes konstituieren und schlichtweg einen Markt bespielen. Insofern bin ich deutlich näher bei Goethe als bei Horkheimer. Nur: Genau an dieser Wahrnehmung scheitert es bei vielen Kreativen. Sie sind kreativ in Bezug auf ihre Produkte, aber oft wenig kreativ in Bezug auf ihre wirtschaftliche Existenz, was mich zu einem zentralen Punkt führt.

Mit unserem Buch "Die Ideenmacher - Lustvolles Gründen in der Kultur- und Kreativwirtschaft" (1) möchten wir, die Unternehmensberaterin Andrea Rehberg und ich, Wege und Möglichkeiten aufzeigen, wie man sich als Kreative/Kreativer einen Platz auf seinem Markt verschaffen kann, ohne dabei der Selbstausbeutung verfallen zu müssen. Denn: Das Bild des "armen Poeten" wird immer wieder recycelt, und scheint aktuell, und der Glanz einer digitalen Bohème ist in Wirklichkeit für viele weit weg. Tatsächlich leben viele Akteure in der Kultur- und Kreativwirtschaft unterhalb der Armutsgrenze. Jedoch sind solche Biografien nicht unbedingt freiwillig gewählt, sondern Ergebnis des gesellschaftlichen Großtrends einer unaufhörlichen Privatisierung des Kulturbetriebes, die am Ende eine wachsende Notwendigkeit zur Freiberuflichkeit für viele ergeben wird. Natürlich kann das dazu anleiten, kulturpessimistische Stimmungen heraufzubeschwören, das Handtuch gleich zu werfen und sich hinter dunklen Zukunftsperspektiven zu verbarrikadieren. Wir glauben aber, dass man das, was auf einen zukommt, im positiven Sinn gestalten kann und, dass in der Eigenart unseres Wirtschaftens als Kreative ein starkes Potenzial steckt.

Warum so viele Kreative in prekären Verhältnissen arbeiten, liegt unserer Meinung nach an der Kleinteiligkeit der Branche. Jeder arbeitet für sich und es entstehen kaum größere Aggregate. Zum einen hat dies mit der Entscheidung zu tun, sich bewusst dem Druck der - nennen wir das böse Wort - kapitalistischen Logik zu entziehen. Das ist legitim und kann sogar ein starkes Kreativpotenzial in sich bergen. Zum anderen fehlt es vielen Akteuren in der Kultur- und Kreativwirtschaft aber an unternehmerischem Know-how, das jedoch für den Weg zum Markt unerlässlich ist.

Was bedeutet Marktorientierung und das Einlassen auf die kapitalistische Logik für Kreative? Es bedeutet vor allem: mehr strategische Planung, mehr in Kategorien von Businessplänen, Zielperspektiven, effektiver Arbeitsorganisation, Mitarbeiterführung und Controlling zu denken - denn daran scheitert es bei vielen Kreativen in der Kultur- und Kreativwirtschaft und u.a. deshalb sind wir von Neumanns El Dorado einer schönen neuen Wissens- und Kreativökonomie noch meilenweit entfernt. Die Branche muss sich maßgeblich professionalisieren. Tut sie das nicht, entziehen sich ihre Akteure ihren selbstverständlichen unternehmerischen Aufgaben, die dem Selbstbild des Kreativen zwar intuitiv nicht unbedingt entsprechen, aber Voraussetzung fürs lustvolle Gründe und erfolgreiche Wirtschaften ist.

Genau das sollte der Motor unserer Arbeit sein. Lustvolles Gründen und Wirtschaften ist das Stichwort, mit dem wir in unserem Buch Ansätze zu einer besonderen, den Kreativen entsprechenden Unternehmensgründung beschreiben, die in vielen Ratgebern nicht zu finden sind, weil sie vielleicht aus Sicht gestandener BWLer zu amateurhaft anmuten. Aber gerade auch in diesem Dilettantismus der Kreativen liegt unternehmerisches Potenzial. Es geht bei der Professionalisierung der Branche also nicht nur einfach um die Adaption einer unternehmerischen Denke. Vielmehr geht es auch um die Erhaltung des Potentials und die Berücksichtigung der Eigenarten der Kreativen. Dabei ist eines ganz gewiss: Der Maßstab des Erfolgs muss nicht unbedingt das große Geld sein (kann es aber durchaus, denn auch das ist legitim), sondern die Fähigkeit, eine Idee, die einen selbst begeistert, zur Geschäftsidee auszubauen.

Zugegebenermaßen kann man damit schnell an Grenzen stoßen, wie das Beispiel einer Gründerin zeigt, die mir vor langer Zeit begeistert erzählte, sie wolle sich als "multimediale Schnittstelle" selbstständig machen. Was das genau bedeuten soll, wusste sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ihre Idee "wuchs" schließlich noch. Es ist nicht leicht, das, was man selbst noch kaum artikulieren kann, seiner Bank zu erklären und auf einen Kredit zu hoffen. Aber man sollte sich von äußerlichen Bedingungen, wie dem kreditverwehrenden Sparkassenangestellten, für den die Immaterialität unserer Ideen nur schwer nachzuvollziehen ist, nicht entmutigen zu lassen. Das Beispiel der "multimedialen Schnittstelle" verdeutlicht sehr gut, auf was es uns beim lustvollen Gründen ankommt. Eine Idee zu haben, für die man sich begeistert, ist natürlich die Grundvoraussetzung. Im zweiten Schritt muss man sich aktiv Hilfe zur Selbsthilfe organisieren und die Begeisterung für eine Idee mit Gleichgesinnten zum Zwecke der eigenen Marktausweitung teilen. Das ist übrigens nicht neu. Tatsächlich gibt es hierfür in der Geschichte einige Vorbilder: zum Beispiel die historische Genossenschaftsbewegung des 19. Jahrhunderts oder die Entwicklungszusammenarbeit mit ihren Programmen für Mikrokredite in der "Dritten Welt". Daraus lassen sich leitende Gedanken für die Kultur- und Kreativwirtschaft ziehen, einer Branche, die eben auch sehr kleinteilig, eigenkapitalschwach ist: Was man alleine nicht schafft, muss im Netzwerk, im Schwarm organisiert werden, und die Nachteile des Einzelunternehmertums müssen durch das Suchen nach Synergien und tauschökonomisches Denken ausgeglichen werden. Die Kreativen sind dafür geradezu prädestiniert.

In der Verlagsbranche ist es zum Beispiel ein ganz hervorragendes Mittel, statt mit teurer Werbung, durch Kooperation mit einem Magazin Öffentlichkeit für sein Produkt herzustellen: Ich biete an, Texte für die neue Ausgabe zu schreiben, und bekomme dafür Anzeigenseiten. Oder ein Grafiker gestaltet die neue Geschäftsausstattung seines Steuerberaters und bekommt dafür seine Jahressteuererklärung. Es ist erstaunlich, wie weit man damit kommen kann. In eine ähnliche Richtung gehen die "Co-Working-Spaces", die sich in vielen größeren Städten bereits etabliert haben und eine professionelle Arbeitsinfrastruktur bieten. Ganz neu ist das so genannte "Crowd-Funding", eine Alternative zum gewöhnlichen Kredit. Dabei kann man auf einer Internetplattform Interessierten sein Projekt vorstellen, die mit kleinen Beträgen von 10 Euro, 50 Euro, 100 Euro die Finanzierung unterstützen. Als Gegenleistung erhalten die Mikroinvestoren eine Gewinnbeteiligung, Rechte oder Medialeistungen. Auf einigen Plattformen wie www.pling.de geht es sogar einzig darum, kreative Projekte zu fördern und im Gegenzug etwas "Schönes" zu bekommen: handsignierte Ausgaben eines Buches, das von der "Crowd", mitfinanziert werden soll. Wenn wir fast alle Aufgaben und Kosten, die typischerweise im unternehmerischen Alltag anfallen, teilen und umlegen, kann dadurch eine große Hürde für das Selbständigsein fallen. Der Schritt zur Freiheit, wie ich es nennen würde, erscheint dadurch nicht mehr so groß - schließlich: Das Netzwerk schützt und hilft. Allerdings: Das Teilen und Tauschen, das Schwimmen im Schwarm und ständige Kooperieren kann wirtschaftliches Wachstum im konventionellen Sinne auch hemmen.

Alle hier vorgestellten Möglichkeiten, Kreativität mit kreativem Unternehmertum zu koppeln, müssen nicht nur monetär gewinnbringend sein, sondern aus dem netzwerkenden, transmedialen und berufsübergreifenden Arbeiten können auch ganz neue Ideen und ein Unternehmertum entstehen, das erfinderisch ist, sozial kompetent und kommunikativ. Das macht das lustvolle Gründen aus, egal ob Wachstum das vordringlichste unternehmerische Ziel ist oder nicht. Es kommt vor allem darauf an, seine eigene Definition von Erfolg zu finden und sich nicht von fremden Vorstellungen unter Druck setzen zu lassen. Dazu gehört auch das Risiko des Scheiterns. Und selbst darin kann auch der Erfolg liegen, es beim nächsten Mal eben besser machen zu können.

Anmerkung

1) Rohrberg, Andrea/Schug, Alexander, Die Ideenmacher. Lustvolles Gründen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Ein Praxis-Guide, Bielefeld 2011.