Schriften des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler, Band 4

Arbeitsfeld Kultur.

Kompetenzen, Anforderungen und Perspektiven in einem wachsenden Berufsfeld

Herausgegeben von Stefan Nies und Bernd Oeljeschläger

Platzhalter

Freiberufler und Burnout -
Multiperspektivische Lösungsansätze zu einem gesellschaftlichen Problem

Von Rainer Spallek

Rainer Spallek

Die gute Nachricht: Uns Deutschen geht's prima! Nie wurden wir so alt wie heute! Nie waren wir im Alter so gesund wie heute! Nie aber sind wir je so gestresst gewesen wie heute! Wesentlichen Anteil daran, dass wir immer häufiger an Erschöpfung, Depression und Burnout leiden, ist laut WHO der berufliche Stress, der "einer der größten Gefahren im 21. Jahrhundert" sei. Immer selbstverständlicher greifen wir in Deutschland zu Antidepressiva oder puschen uns hoch mit Medikamenten (Enhancement). Der Anteil psychischer Erkrankungen an der Arbeitsunfähigkeit beträgt in Deutschland fast 17 Prozent (Publik Forum 22/2010). "1993 lag die Ursache für Frühverrentungen in Deutschland zu 15 Prozent bei seelischen Erkrankungen. 2009 waren es 37,7 Prozent." (DIE ZEIT 2010). Solche Erkrankungen gehören mit durchschnittlich 28 Krankheitstagen zu den am längsten dauernden Auszeiten (hinter Gehirntumoren - Psychologie Heute 2011).

Laut Studie der Technischen Universität Dortmund (Verdi-Info September 2010) sind Freiberufler stärker von Burnout betroffen als Arbeitnehmer. Vor allem die Entgrenzung von Privat- und Arbeitsleben sei die eigentliche Ursache für chronische Erschöpfung und Regenerationsunfähigkeit. Allerdings gibt es diesbezüglich bisher keine aussagekräftigen Vergleichsstudien.

Seit dem Suizid von Robert Enke herrscht "große Einigkeit darüber, dass die Gesellschaft einen offenen Umgang mit psychischen Leiden führen müsse" - doch weiterhin gelten Depression und Burnout in der Arbeitswelt als Zeichen mangelnder Belastbarkeit - wird Innerlichkeit pathologisiert (mit dem SPIEGEL sprachen Betroffene nur anonym!). 2010 kam es zum öffentlichen Aufruf von Fachleuten, die "Verantwortung für die Behandlung seelischer Erkrankungen und den Umgang mit psychosozialem Leid in unserer Gesellschaft tragen: Wir möchten unsere tiefe Erschütterung über die psychosoziale Lage unserer Gesellschaft zum Ausdruck bringen ... angesichts der vorherrschenden gesellschaftlichen Orientierung an materiellen und äußeren Werten wird die Bedeutung des subjektiven dramatisch unterschätzt ... wir benötigen mehr Herz für den Menschen."

Der Begriff Burnout wurde von einem Mann geprägt - und Männer hatten immer schon Probleme damit, Depressionen einzugestehen. Der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger lieferte 1974 den ersten wissenschaftlichen Artikel zu diesem Thema. Burnout ist da ein willkommenes "beschönigendes Synonym für eine sonst stigmatisierte Depression: Nur wer gebrannt hat, kann ausbrennen - das ehrt den Ausgebrannten" (SPIEGEL WISSEN 1/2011). Da es keine einheitliche, allgemein anerkannte Definition von Burnout gibt, beschreiben Ärzte das Burnout-Syndrom auch als Anpassungsstörung (!), als depressive Erkrankung oder chronische Erschöpfung. Die neue Zeitkrankheit oder "Volksepidemie Burnout" (NRW-SPD-Politiker) ist keine anerkannte ärztliche Diagnose!

Ich sehe es so: Wenn die O.K.-Maske eines Menschen in einer O.K.-Gesellschaft (Horst-Eberhard Richter) zerbricht, so droht er K.O. zu gehen - nach einer rücksichtslosen Übernahmeschlacht um seine Potentiale, Energien, Motivationen. Mitschuld an der Arbeitsbesessenheit ist die Neigung sehr vieler Erwerbstätiger, ihren Selbstwert ausschließlich über ihre Arbeit zu definieren - als hinge ihre Existenzberechtigung vom Arbeitsplatz ab. Vor allem ist es diese übermäßige Identifizierung mit seiner Arbeitsleistung und einhergehender Geringschätzung aller anderen Lebenssphären, die den Nährboden für den Burnout bereitet. Ich arbeite, also bin ich. Ich bin arbeitslos, also ... . nur so lässt sich der absurde Begriff der Existenzangst im Falle von drohender Arbeitslosigkeit erklären.

Ich selbst befinde mich in between: zwischen gesellschaftskritischem Denken, Engagement in Interessengruppen und spirituellem, d.h. achtsamem, sinn-geleitetem, möglichst mitfühlendem Denken und Tun (einschließlich Yoga und Meditation) gehören diese Dinge zusammengedacht, ergänzen sich notwendig. Wenn man die herzverhärtende Wirtschaftswachstums-, konkurrenz- und konsumfixierte Gesellschaft so weitermachen lässt, dann wird es unzählige weitere Burnout-Opfer geben.

Mir geht es um Perspektivenwechsel - was halten Sie davon? Im Grunde ist Burnout eine sehr gesunde Reaktion auf ungesunde gesellschaftliche Verhältnisse! Der Burnout als eine logische, natürliche Antwort auf eine sich selbst überfordernde, hochkomplexe, geschwindigkeitsbesessene, orientierungslose Gesellschaft, von der der Burnout-Betroffene sich mit einem ohnmächtigen Hilferuf loszureißen versucht. Seine Psyche, sein Körper hält die O.K.-Haltung einfach nicht mehr aus und schreit nach Befreiung! Jiddu Krishnamurti: "Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein."

Symptome

Nun zu den Symptomen seelisch und körperlich, also psychosomatisch völlig erschöpfter Menschen. Ich habe einen Burnout-Prozess unter crashkursartigen Bedingungen als Reiseleiter in Vietnam so erlebt: Euphorie - Ernüchterung - Irritation - Ratlosigkeit - falscher Film - ruhelos, schlaflos und handlungsstarr - Erschöpfung und Erkrankung - Teilnehmerprotest - Aus!

Weitere Warnzeichen sind typisch für Burnout-Betroffene:

  • anhaltende Schlafstörungen, frühes Erwachen und quälend lange Grübelei, also die Unfähigkeit, abzuschalten
  • Vergesslichkeit, Zerstreutheit, Flüchtigkeitsfehler, Verlegen von Dingen
  • Schuldzuweisungen an Andere und Anderes
  • negative Einstellung zur Arbeit
  • Fehlzeiten nehmen zu
  • Konzentration auf eine Sache und Zuhören fallen schwer
  • Gehetztheit, gefühlte Zeitnot, Überstundenzunahme ohne entsprechender Output (Erschöpfte können nicht schöpferisch sein)
  • starke Reduzierung von Sozialkontakten
  • Gefühle weniger unter Kontrolle, Gereiztheit, Weinerlichkeit
  • unlebendig, freud-, kraft- und antriebslos, starr
  • Ängste verschiedener Art
  • Abflachen des emotionalen und sozialen Lebens
  • starre Fixierung auf eigene Vorteile und stark reduzierte Wahrnehmung der Umwelt
  • Schmerzen verschiedener Arten ohne direkt erkennbare Ursache (Kopf, Rücken, Herz, Schwindel, Verspannungen, Hörsturz, Tinnitus ...)
  • Gefühle der Sinnlosigkeit und Verzweiflung bis zum Suizidgedanken

Ursachen

Burnout wird stets mit Arbeit und Beruf in Verbindung gebracht - der in aller Regel in Alltag und Privatleben hineinwirkt. Vor dem Kalten Krieg, als Globalisierung und Digitalisierung noch nicht die große Rolle spielten und im Wettbewerb der Systeme der Kapitalismus noch gezähmt daherkam, war der Beruf eine Quelle für gesellschaftliche Anerkennung. Nach Feierabend war Feierabend! Man pflegte verschiedene Kontakte zu Familie, Kollegen, Freunden, Vereinen, Kirche, Partei usw. Dies waren ebenfalls Quellen gesellschaftlicher Anerkennung und Aufgehobenseins und damit auch Schutzschirme gegen seelische Erkrankungen. Doch spielen diese sozialen Bereiche, auch aufgrund eines immer härteren Konkurrenzkampfs in der Arbeitswelt, heute eine immer geringere Rolle.

Woran heute der Mensch zunehmend Wert und Ansehen misst, ist seine Überlebensfähigkeit im Arbeitsleben. Doch wo die Arbeit ausschließlich meinen Wert ausmacht, da bin ich bereit, wie ein Arbeitsloser auf Bewährung zu schuften; da mutiert die Angst vor Arbeitsplatzverlust tatsächlich zur Existenzangst. Mit einem archetypischen Verhaltensrepertoire wehrten wir uns einst gegen Säbelzahntiger und Keulen schwingende Artgenossen: mit Angriff, Flucht oder Erstarrung. Heute sind Termin-, Zeit- und Gelddruck die modernen Tiger und wir reagieren mit Angriff (Arbeitsbesessenheit) oder mit Flucht und Erstarrung (Fehlzeiten, Depression, Burnout).

Typische Burnout-Ursachen sind:

  • Ängste verschiedenster Art (Versagens-, Unzulänglichkeits-, Verlust-, Ablehnungs-, Kontrollverlust-, Abwesenheits- und Versäumnis-, Loslassen- und Nein-sagen-Ängste ...)
  • zu langes und entgrenztes Arbeiten
  • Überall- und Jederzeit-Erreichbarkeit
  • instabile Arbeitsstrukturen (atypische, diskontinuierliche, prekäre)
  • zu viele Störungen/Ablenkungen von außen (Telefon, Mails ...)
  • beschleunigte Arbeitsabläufe und Multifunktionalität
  • passive, abwartende Haltung, die uns das Gefühl von Selbstwirksamkeit nimmt
  • die Neigung, gute Leistungen anderen oder günstigen Umständen "anzulasten"
  • Mobbing
  • starke Empfindlichkeiten und Misstrauen bis zur Feindseligkeit begünstigen Burnout
  • allgemein die Neigung, Zufriedenheit und Erfüllung ausschließlich in Arbeit zu suchen

Angstauslösend wirken auch die Suggestionen von Wirtschaft, Politik, Medien und Ratgeberszene, wir unterlägen Mega-Mankos, die es wegzumanagen gilt - in sämtlichen Lebensbereichen! Das macht uns unsicher, schuldbewusst, Hilfe suchend. Wir sind schon eine Weile erwachsene Menschen - und haben immer noch nicht gelernt, dass wir alle Mängelwesen sind auf irgendeine Weise - wozu wir uns auch bekennen sollten!

Die O.K.-Gesellschaft macht uns zu K.O.-Menschen, die unter ewigem Perfektionismuswahn und Vergleichszwang leiden und sich selbst völlig aus den Augen verlieren. "Um den Sollensforderungen der Gesellschaft zu entsprechen, lernen wir, unsere eigenen Empfindungen und Bedürfnisse zu missachten." (Fritz Perls, Begründer der Gestalttherapie). Und wir lassen das zu, machen die Außenerwartungen zu unseren eigenen. Wir verlieren so die Anbindung an unser inneres Wesen, werden unsensibel für unsere Gefühlswelt, wagen kaum noch Gefühle der Überforderung, Ohnmacht, Wut und Unlust zu äußern. Das Online-Leben verstärkt die Orientierung nach außen und unterbindet die Kommunikation nach innen. Wir verlieren Lebendigkeit, Spontanität, Lebenslust, die einem Burnout entgegenwirken.

Wir sind miserable Innenpolitiker, regieren nicht mehr uns selbst, sondern reagieren nur noch. Da ist kein Platz mehr für Besinnung und somit auch nicht für die Frage nach dem Sinn unseres Treibens, nach unserem Wollen und Sollen. Damit sind wir auch selbst mitverantwortlich für unseren Burnout! So werden wir Konsumenten darauf gedrillt, maß- und rücksichtslose Forderungen an unsere Umwelt zu stellen! Macht ein Geschäft mal zwei Stunden Mittagspause oder schließt es um 18.00 Uhr, ist der Ansprechpartner nicht rund um die Uhr zu erreichen, ist gar sein Handy offline, so werden wir sauer und wenden uns ab zur Konkurrenz, die das bietet. Der Kunde ist nicht nur König - er ist auch Killer (und Knecht)! All dies nützt vor allem Ärzten, Therapeuten, Coaches und Analytikern - und "der neuen Wachstumsbranche der Burnout-Kliniken, den Lazaretten der Arbeitswelt." (ZEIT ´10). Gerade deren Patienten sind - kein Quatsch - erfolgreiche Menschen aus der Mittelschicht! Es zeigt sich: Profis im Berufsleben sind häufig absolute Amateure im Privatleben. Der Drang zur ständigen beruflichen Perfektionierung lässt unsere Erlebnis- und Erfahrungswelt verkümmern. Schade. Das Geschenk des Lebens hat Besseres verdient.

Konventionelle Lösungsansätze

"1-2-3 im Sauseschritt läuft die Zeit - wir laufen mit ..." (Gedicht von Wilhelm Busch)

Der Freiberufler ist Führungskraft und ausführende Kraft in einem. Nicht aber muss er Ausbeuter und Ausgebeuteter zugleich sein; muss nicht als Freelancer gegen sich in die Schlacht ziehen. Er sollte sich einmal in die Rolle des Arbeitnehmers einfühlen - denn dieser würde gewiss auf Pausen, Feierabend, Urlaub und freie Wochenenden pochen!

Ich als Chef habe eine Fürsorgepflicht gegenüber mir als Arbeitnehmer - und so sollte ich mich behandeln. Falls ich mich als Arbeitnehmer ausgebeutet fühle, kann ich jederzeit kürzer arbeiten oder mir kündigen und andere Wege gehen. Klingt komisch, ist es aber nicht. Die größte Gefahr für Freie ist der Missbrauch seiner Freizeit zu Arbeitszwecken: das ewige Ungleichgewicht seiner work-life-balance. Den Missbrauch sollte er nicht anderen in die Schuhe schieben: Das ist sein Ding!

Rainer Spallek

Rainer Spallek in Moldawien.
Schräg und unberechenbar reisen: Das macht wach!

Einige der folgenden Tipps kommen vom "Gezeiten-Haus, Klinik Bonn", das spezialisiert ist auf die Behandlung Burnout-Kranker.

Vieles sagt mir zwar schon mein gesunder Menschenverstand! Doch genau dem trauen wir immer weniger über den Weg: Die Ratgeber- und Expertendiktatur verunsichert uns.

  • Schlafe ausreichend! Und halte gelegentliche Nickerchen (sehr wirksam!)
  • Ein- und Innehalten von und in Pausen (Entspannung und Regeneration)
  • Störungen sind Energiefresser. Organisiere einen bestimmten Zeitraum pro Tag störungsfrei! Lebe einen Tag pro Woche offline! No Telefone, no Mails! Achte auf ruhiges, intensives Arbeiten! Lasse viel auf den Anrufbeantworter sprechen, den du einmal täglich abhörst und dann vieles per Mail beantwortest
  • Vergiss den Kauf ständig neuer Kommunikationstechniken: schon die älteren überfordern dich. Verzichte auf's Handy: ein Genuss und in der Regel kein Problem!
  • Mails nur einmal täglich checken - auch mal ein E-Mail Sabbatical einlegen!
  • Verzichte weitgehend auf Multitasking
  • Realistische Terminplanung - wenn zu wenig Zeit da ist, dann ist das ein Prioritätenproblem!
  • (Etappen-) Ziele müssen klar formuliert, Zeitlimits realistisch gesetzt werden
  • Gelegentlich 1-Minute-Stop! Wo bin ich? Was tue ich? Was denke ich? Wie geht´s mir?
  • Viele Sorgen sind unbegründet: Genau hinschauen! Restsorgen sollten nicht Gedanken und Gefühle lähmen: uminterpretieren (bsp. Kritik!); Reminiszenztechnik! (tolles Erlebnis). Drücken Sie sich aus, reden Sie, schreiben Sie Tagebuch ...
  • Organis sind grundsätzlich unersättlich, immer bereit, noch mehr aus dir herauszuholen. Du kannst dich selbstoptimieren und flexibilisieren so viel du willst: Es wird nie reichen. Lerne zuzumachen, abzugrenzen, nein zu sagen! Andere mögen ihre Erwartungen an dich haben: akzeptiere es; doch habe die innere Freiheit, dich ihnen zu öffnen oder eben nicht!
  • Dabei hilft es sehr, "downzushiften": ein befreiender, subversiver Akt! Schraube deine Ansprüche herunter, hole dir Erfüllung und Zufriedenheit auch jenseits der Arbeit - dann kannst du auch weniger arbeiten bzw. Geld verdienen. (Ringelnatz!)
  • Simplify your life! Stopfe nicht Räume mit Dingen und Zeit mit Terminen voll! Untersuche, was (nicht) wesentlich und dir (nicht) gut tut - werfe Ballast ab!
  • Change/love/leave it! Notfalls verlasse die Stätte deines Unglücks kompromisslos. Etwas Besseres als den Tod/das Unglück findest du überall! (Bremer Stadtmusikanten) Die eigene Kündigung kann große Energien freisetzen, die zuvor gefesselt waren! You are born to be wild! Agiere selbstsouverän: Selbstwirksamkeit ist das Fundament für eine grundsätzlich positive Lebenseinstellung! Steige (befristet) aus! Wandere aus! Orientiere dich beruflich neu - denke an die Bremer Stadtmusikanten!
  • Lebenskünstler haben immer das Wissen um die Schere der Zeit im Kopf und wissen sich von sich zu distanzieren (Humor/Selbstironie!) - Vergänglichkeit! Ewigkeit!
  • Gehe zu Fuß, fahre Rad - genieße Freiheit und Bewegung auch auf dem Weg zum Arbeitsplatz
  • Schreibe Tagebuch über amüsante, komische, angenehme, schräge Dinge des Tages. Immer lesen und aktualisieren: Das schult den Blick für das Schöne und Lebendige
  • "... wer mit den Füßen hastig ist, tritt fehl" (Altes Testament, Sprüche 19,2): Gehe mal langsam und achtsam und guck dir die Welt an. Mach verrückte Dinge ...
  • Du kannst dir auch helfen lassen: Selbsthilfegruppen anonymer Arbeitssüchtiger/ Therapeut/ Berater/ Analytiker ...)

Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Freiberufler

  • Zusammenarbeit mit starker "pressure-group" (Gewerkschaft)
  • Arbeiten mit aufstockendem Arbeitslosengeld II - mit gutem Gewissen! Über das Schamgefühl, das mit der Annahme staatlicher Gelder einhergeht, wünsche ich mir mal eine offene und ernsthafte Diskussion. Bestätigt ein Arzt chronische Erschöpfung und spielt der Arbeitsamtbeamte mit (d.h. erscheint es ihm plausibel, dass man arbeitszeitmäßig kürzer treten muss), so ist Arbeitslosengeld realistisch.
  • Künstlersozialkasse (KSK) für alle solo Selbstständigen
  • Bedingungsloses Grundeinkommen! (gerade für Kulturarbeiter!)
  • Netzwerken ist gut und wichtig. Verfängst du dich aber in den Netzen, verknappt sich dein bisschen Freizeit noch mehr und kann kontraproduktiv wirken. Einseitiges berufliches Netzwerken kann genauso schädlich sein wie völlige Fokussierung auf Arbeit
  • wenn du nicht dein übriges Leben verwahrlosen lässt!

Man kann sich kurz über Härtefallregelungen bei Krankenkassenbeiträgen und reduzierte Beiträge freuen, doch fatalerweise spornen sie uns zu noch mehr Arbeit an: Es lohnt sich ja jetzt noch mehr: Geld schlägt Gesundheit!

Hoher Arbeitseinsatz begünstigt Burnout, wenn es neben der Arbeit keine anderen Schwerpunkte im Leben gibt und somit Arbeit alleiniger Ort für Bestätigung, Zuneigung, Geborgenheit und Persönlichkeitsentwicklung sein soll!

Um ein nachhaltig ausgeglichener und zufriedener Mensch zu sein sind vier Punkte entscheidend (neben genetischer Prädisposition und Kindheitserfahrungen!):

  • Beruf
  • soziale Kontakte
  • Bewegung und Ernährung
  • persönliche Entwicklung (Introspektion/ Selbstreflexion)

Das heißt nicht, dass dies uns von Erschöpfungszuständen befreit - doch werden sie dann nicht chronisch, da wir sie im Auge haben, tiefer, bewusster und ganzheitlicher mit uns umgehen.

Unkonventionelle Lösungsansätze

Der Kopf ist rund, damit die Gedanken besser ihre Richtungen ändern können

Paulus sagt im Neuen Testament: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen." Und es heißt: "Müßiggang ist aller Laster Anfang!" Gar nicht gewusst, dass wir eine Gesellschaft bibeltreuer Christen sind! Allzu viele meinen, es gäbe keine Alternative zu Stress: "Weniger Stress und mehr Sinn muss man sich erst mal leisten können." Soviel Resignation, Angst und Fantasielosigkeit darin! Ja, wollen wir denn alle früher sterben und bis dahin unglücklich sein - als Grabspruch denkbar: War da wer?!

Rainer Spallek spielt Saxofon

Rainer Spallek beim Saxen. Er rät: Lass es raus und mach Dein Ding!

Dass es im Alten Testament auch heißt: "Besser ein trockener Bissen in Ruhe als ein Haus voller Braten und Zank" - das ist natürlich weit weniger bekannt! Wir scheinen des teuren Bratens wegen alles Leben links liegen und dafür Depression und Burnout in Kauf nehmen zu wollen.

Erich Kästner: "... der Kopf ist nicht der einzige Körperteil. Man muss auch springen, turnen, tanzen und singen können, sonst ist man mit seinem Wasserkopf voller wissen ein Krüppel und nichts weiter."

Tut Muße!

Die Menschen, die vor Jahren das "Manifest der glücklichen Arbeitslosen" schrieben, waren kritische Geister und entschlossen sich, der extremen Bedeutung von Arbeit in unserer Gesellschaft das andere Extrem der Muße entgegenzuhalten und zu leben nach dem Motto: Besser unverzweifelt ohne Arbeit als verzweifelt mit ihr.

"Wie viel innere Macht ich dieser Situation (Arbeitslosigkeit) gebe, dafür bin ich - und niemand anderes - zuständig." (Bruno Schleeger, Gestalttherapeut)

Zunächst einmal sind wir Freiberufler "burn in": brennen für unsere Sache, arbeiten viel, haben erste Erfolge, sind stolz auf Geleistetes, weil wir´s allein gepackt haben. Stress? Gehört dazu, auch zum Status! Das birgt die Gefahr der Sucht: die Jagd nach Erfolg, Anerkennung, Bedeutung, Geld, aber auch die Angst vor schlechteren Zeiten verselbständigen sich und beherrschen dich - und du lässt es zu!

"Nichts ist, das dich bewegt / du selbst bist das Rad / das aus sich selbst läuft / und keine Ruhe hat" (Angelus Silesius)

Als chronisch getriebener und erschöpfter Mensch bist du Schattenmensch in einem Schattenreich. "Das Leben, das du führst, verbirgt das Licht, das du bist." (Sri Aurobindo). Im Schattenreich versumpfst du im Egozentrismus: Es geht dir nur noch um deine Vorteile; bist taub und blind für alles Leben um dich herum; bist dir nicht mehr Freund, wirst dir zum Feind; bist verschlossen und ohne Zugang ... verdunkelst und erstarrst. Viele Burnout-Opfer werfen von heute auf morgen alles hin und flüchten stumm und verzweifelt aus der Bedrohung der Arbeitswelt!

Berufliche Profis, aber Amateure des Lebens. Es führt kein Weg dran vorbei: Will ich Gestalter meines Lebensglücks sein, so muss ich meinen Blick auch nach innen wenden! Wollen wir psychosomatischen Erkrankungen wie dem Burnout zuvorkommen oder sie überwinden, so müssen wir gegen den Satz leben "besser das bekannte Unbehagen als das Unbekannte wagen".

Persönliche Krisen wie ein Burnout sollten (und wollen?) uns klarmachen: So geht es nicht mehr weiter! Umdenken und Handeln ist angesagt. Entscheidendes muss meinem Wesen gemäß verändert werden. Wir müssen destruktive Gewohnheiten aufgeben, einbetonierte Denk- und Verhaltensweisen aufbrechen; uns von zugewiesenen Identitäten (Rollen, Masken) trennen (ich bin nicht meine Arbeit!) oder mit ihnen spielerisch umgehen lernen und uns von gesellschaftlichen Erwartungshaltungen trennen, die wir unreflektiert übernommen haben. Vielleicht muss es auch erst zum Einsturz dessen kommen, was uns zuvor sicher zu tragen schien, um zu gesunden.

Hermann Hesse: "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben….Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!".

Rainer Maria Rilkes Gedicht "Der Panther" kann als eine treffende Darstellung eines Burnout-Kranken gelesen werden!

Oft ist eine psychische Krise das Startsignal zu Heilung und Gesundung. Elisabeth Kübler-Ross (Psychiaterin): "Es ist traurig, dass erst dann, wenn eine Tragödie uns trifft, die meisten von uns beginnen, tieferen Aspekten des Lebens ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Es ist erst dann, dass wir versuchen, über Äußerlichkeiten - wie wir aussehen, wie und wie viel Geld wir verdienen - hinauszugehen, um zu entdecken, was wirklich wichtig ist."

Um heilende Unannehmlichkeiten zu vermeiden, flüchten wir in harte Arbeit; droht diese uns fertigzumachen, in Depression und Burnout. Wir meiden die Begegnung mit dem Horror vacui, der "existentiellen Leere" in uns (Viktor Frankl). Nach Frankl brauchen wir Menschen als geistige Wesen Lebenssinn genauso wie Nahrung und Wasser. Und Friedrich Nietzsche: "Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie". Nach Frankl würden viele deshalb krank, weil sie in ihrem Leben keinen Sinn mehr erkennen können. Jeder einzelne - und nur er! - ist aufgerufen, seinem Leben einen Sinn zu geben als ständige Quelle der Klarheit, Kraft, Orientierung und des Trostes. Doch dazu müssen wir uns eine Chance geben! In uns eine regelmäßig besuchte Oase der Ruhe schaffen! Dann haben wir auch die Kraft, gestärkt aus Krisen hervorzugehen.

Anselm Grün: "Wer mutig zu dem steht, was ihm wertvoll und wichtig ist, wer sein Maß erkennt und annimmt, der wird auf Dauer gut und zufrieden leben können."

In der Stille von Introspektion und Meditation können wir unseren Gefühlen, Empfindungen und Gedanken auf die Spur kommen, sie erkennen und gegebenenfalls zu ändern versuchen, um ihnen eine neue, gute Richtung zu geben; um uns von ewiggleichen destruktiven Schleifen, Mustern und Negativ-Suggestionen zu befreien (emotionale Reaktivität / Wahrnehmung / Kontrolle von Stresssymptomen wie Atem, Herzschlag, schwitzen ...). Die Verantwortung für unsere Lebensgestaltung kann und soll uns niemand abnehmen - das erfordert achtsames Gewahrwerden unserer Regungen in Körper, Geist und Seele - ohne zu verurteilen. Dem Raucher muss man nicht sagen, dass er nicht rauchen soll, das weiß er selbst. Er sollte aber wissen, warum er raucht, obwohl er sich damit Schaden zufügt (ebenso der Burnout-Kranke: welche Muster und Suggestionen bewirken sein Handeln?)

Kurzfristige Erfolge auf Kosten der Gesundheit sind keine wirklichen Erfolge (s.o.: berufliche "erfolgreiche" Menschen in Burnout-Kliniken). Hier kennt man sein Maß nicht und geht über es hinaus…

Ich denke eine gute Chance, einem Burnout zu entgehen oder zu überwinden, hat der Mensch, der

  • die verschiedenen Bereiche des Lebens wertzuschätzen und zu berücksichtigen weiß
  • sein persönliches Maß erkennt/anerkennt und seine Wünsche/Bedürfnisse ihm entsprechend anzupassen - gegebenenfalls downzushiften - versteht
  • achtsam und rücksichtsvoll mit sich und dem Mitmenschen umzugehen versteht
  • auch mal aus Routinen aussteigen kann und verrückte Dinge zu tun versteht
  • dem Zeitgeist auch einmal die Zunge zu zeigen weiß (befreiend!)
  • die Nähe zur Natur zu schätzen weiß (als Anti-Stress-Ort par excellence)
  • sich regelmäßig STOP-Pausen gönnt, um sich wahrzunehmen und zu entspannen
  • sensibel und dankbar sein kann für die vielen Dinge des Alltags (Tagebuch!)
  • seine Hobbys nicht zu kurz kommen lässt
  • Humor und Selbstironie pflegt (es ist leicht, das Leben schwer zu nehmen, doch nehmen wir uns nicht immer so staatstragend wichtig)
  • sich Lebensweisheiten auf der Zunge zergehen zu lassen versteht
  • gelegentlich einen mehrtägigen Rückzug in sein Leben einzubauen weiß bzw. befristete Ausstiege wagt
  • sich an Sätzen wie dem folgenden zu ergötzen weiß: "Wer die Augen offen hält / dem wird im Leben manches glücken / besser doch ergeht es dem / der versteht, eins zuzudrücken." (Johann Wolfgang von Goethe)