Schriften des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler, Band 4

Arbeitsfeld Kultur.

Kompetenzen, Anforderungen und Perspektiven in einem wachsenden Berufsfeld

Herausgegeben von Stefan Nies und Bernd Oeljeschläger

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Die Selbstausbeuter -
Zwischen Sehnsucht und Sorge: Kultur-Prekariat vom Praktikanten bis zum Unternehmer

Von Veronika Mirschel

Veronika Mirschel

Ich wurde vorgestellt als "Überläuferin" von der Freiberuflerin zur Angestellten. Das will ich vielleicht ganz kurz noch erklären: Ich war tatsächlich mit Leib und Seele Selbstständige und habe damals gemerkt, dass ganz viele Kolleginnen und Kollegen mit den gleichen Problemen kämpften, wie ich das auch getan habe als Einzelkämpferin. Ich habe mich dann in der Gewerkschaft engagiert. Wir haben schließlich die Gewerkschaft dazu gebracht - was natürlich ganz ungewöhnlich ist für eine Gewerkschaft, die abhängig Beschäftige organisiert - auch mal einen Blick darauf zu werfen, wie es den einzelnen Selbstständigen, wir nennen sie kurz Solo-Selbstständige, geht. Und dann haben wir gesagt: Dann nehmen wir doch die Gewerkschaft als Sprachrohr. So eine Gewerkschaft ist eine deftige Veranstaltung. Die soll mal Interessen bündeln und mal zum Beispiel politische Lobbyarbeit machen zu den Rahmenbedingungen, unter denen Selbstständige und Freiberufler arbeiten. Ich bin damals von meinen Kollegen, mit denen ich das betrieben habe, dazu überredet worden, dass ich als Hauptamtliche die Interessenvertretung übernehme. Das habe ich dann auch gemacht. So, und nun bin ich da und mache das seit zehn Jahren tatsächlich immer noch ausgesprochen gern, auch wenn ich manchmal nur halbleere Gläser verkünden kann.

Der Titel meines Vortrags heißt "Die Selbstausbeuter - Zwischen Sehnsucht und Sorge: Kultur-Prekariat vom Praktikanten bis zum Unternehmer". Da stelle ich gleich mal die Frage: Wie "Selbst"ausbeuter? Wer beutet denn hier eigentlich aus? Wir müssten vielleicht schon ein bisschen darauf schauen, wie die Rahmenbedingungen sind, unter denen diese Ausbeutung stattfindet, und wer auch ausbeutet - über die Selbstausbeutung hinaus.

Nehmen wir das Beispiel Praktikanten. Im Mai rief der Norddeutsche Rundfunk, eine Anstalt öffentlichen Rechts, 500 junge Kolleginnen und Kollegen dazu auf für mau (!) den European Song Contest mit vorzubereiten. Das ist natürlich ein echter Knaller, 14 Tage kostenfrei zu rackern. Zitat des NDR, der den Song Contest dann ausgerichtet hat: "Eine Bezahlung können wir nicht bieten, dafür aber das einzigartige Flair der größten Musikshow der Welt." Davon kann man sich echt was kaufen: das "einzigartige Flair". Gut, wenn ich über "Sehnsucht und Sorge" spreche, dann wurde hier ganz klar die Sehnsucht junger Kolleginnen und Kollegen ausgenutzt, die Chance zu nutzen, vielleicht irgendwann in dem Bereich Fuß zu fassen Aber wir sprechen damit auch durchaus über die Sorge derjenigen Kolleginnen oder Kollegen, die fest oder frei für den Norddeutschen Rundfunk arbeiten und damit ihr Geld verdienen und deren Jobs dann einfach flugs ersetzt werden durch solche Aktionen.

Was mir an dem Titel meines Vortrags noch aufgefallen ist: Im Kulturbereich gibt es neben Praktikanten, Gründerinnen, Selbstständigen und Unternehmerinnen tatsächlich auch noch ein paar Festangestellte. Das werden allerdings immer weniger - und es wird immer selbstverständlicher, dass Jobs, die früher unzweifelhaft von Festangestellten ausgeübt wurden, auf Freiberuflerinnen und Freiberufler, auf Selbstständige, verlagert werden. Klammer auf: Das geht eigentlich sozialpolitisch gar nicht. Aber nun gut, wir gucken mal auf die genaueren Gründe.

Da sind zum einen schlichtweg die Verlagerungen von Personalkosten auf Sachkosten. Das ist einfach besser handhabbar für bestimmte Institutionen. So stehen etwa öffentliche Einrichtungen, die Kulturschaffende beschäftigen, natürlich immer wieder unter der Fuchtel von Kontrollgremien, die sagen: "Eure Personalkostendecke ist ganz schön hoch, wir müssen da mal ein bisschen knapsen." Und dann wird die Arbeit eben verlagert auf Freiberufler und Selbstständige. Natürlich handelt es sich auch um die Flexibilität für die Auftraggeber. Es ist in deren wohlbedachtem Interesse zu sagen: "Wir brauchen auch die Möglichkeit, ein bisschen auf dem Markt auszuwählen, wir brauchen Leute mit verschiedenen Qualifikationen." Das ist in Ordnung. Aber was aus Sicht der Auftraggeber mit Sicherheit ein ganz entscheidender Grund ist: Damit werden alle Risiken auf die Freiberufler verlagert - also die Frage, wie sichere ich mich ab, wo ist morgen mein nächster Anschlussauftrag, etc. Diese Risiken ziehen sich die Auftraggeber, die eigentlichen Arbeitgeber, nicht mehr an.

Die Rahmenbedingungen, die ermöglichen, dass immer mehr Kolleginnen und Kollegen in die Freiberuflichkeit gehen haben sich erheblich verändert, was die Frage der Rechtsprechung usw. angeht. Ich nenne Beispiele: Viele von Ihnen waren wahrscheinlich als Kinder in der Musikschule. Damals waren unsere Musikschullehrerinnen alle angestellt. Das war völlig normal. Wenn Sie heute ihre Kinder in die Musikschule schicken, werden dort vermutlich nur Honorarkräfte arbeiten - eine ganz übliche Geschichte. Ein anderes Beispiel: Journalistinnen und Journalisten waren häufig Freiberuflerinnen und Freiberufler, weil sie mit bestimmten Themen durch die Gegend tingelten. So war ich auch, ich hatte ein bestimmtes Themenfeld und natürlich konnte nicht jeden Tag eine Zeitung über Arbeitswelt schreiben, also habe ich meine Aufträge verschiedenen Auftraggebern angeboten. Aber jetzt ist es inzwischen selbstverständlich, dass ganze Ressorts, ganze Außenredaktionen von Zeitungen durch Freiberuflerinnen verantwortet werden, also eigentlich eine festangestellte Tätigkeit. Ganz massiv sichtbar ist das im Bereich Filmschaffende. Natürlich haben wir dort das berühmte Kreativpotenzial, den Regisseur, den Filmautor etc., die als Freischaffende arbeiten. Aber all diejenigen, die das technische Drumherum machen, gehören schlichtweg in die Festanstellung. Aber es hat sich eingeschlichen, dass die gesamte Technik, die in der Regel weisungsgebunden an einem Filmset arbeitet, inzwischen als freiberuflich beschäftigt wird. Das ist auch eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit für Filmproduzenten. So wurden etwa in einem Bundesland die Kameraleute freiberuflich beschäftigt. Damit hat dieser Filmstandort schlichtweg einen Wettbewerbsvorteil gegenüber einem anderen Filmstandort, an dem die Kolleginnen und Kollegen damals noch in der Festanstellung beschäftigt waren. Anderes Beispiel: Angelernte Veranstaltungstechnikerinnen und Veranstaltungstechniker dürfen eigentlich nicht freiberuflich arbeiten, einfach deswegen, weil irgendwo die Haftung für den Aufbau bestimmter Installationen liegt. Es ist nicht möglich zu sagen, wir nehmen die Helferinnen und Helfer und lassen sie Bühnen aufbauen, ohne dass sie in der Festanstellung sind und eine haftungsfähige Person da ist. Und trotzdem passiert es.

Es wird immer mehr in Freiberuflichkeit, in Selbstständigkeit reingeschoben - und übrigens auch angenommen. Das ist keine Kritik an der Freiberuflichkeit, nicht dass das missverstanden wird. Aber es wird einfach zu einer Selbstverständlichkeit, Risiken zu verlagern, auszulagern und die Kolleginnen und Kollegen ein Stück weit im Regen stehen zu lassen. Beispiel darstellende Künstlerinnen und Musikerinnen: Vor 30 Jahren waren noch 80 Prozent der Musiker, die in Musikensembles spielen, festangestellt. Heute sind es weit unter 50 Prozent. Dieser Trend zur Selbstständigkeit ist nicht zuletzt der Hartz-Gesetzgebung geschuldet. Vor der Hartz-Gesetzgebung gab es so einen Begriff, der nannte sich Scheinselbstständigkeit. Das bedeutet, ein Mitarbeiter wird als Freiberufler oder Selbstständiger geführt, aber letztendlich ist er ein verdeckter Angestellter. Dieses ist weitgehend abgeschafft. Die Frage zu sagen: "Ich gehöre eigentlich in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung", ist nur noch ganz schwer durchsetzbar. Aber - und das ist das Entscheidende, und deswegen sitzen ja auch hier: Viele wollen überhaupt nicht in die Festanstellung, das ist auch vollständig in Ordnung.

Meine Vorrednerin hat ja schon auf das Buch "Wir nennen es Arbeit" hingewiesen und sie hat den Untertitel genannt: "Etwas besseres als Festanstellung finden wir noch immer". Der neue Untertitel lautet "Intelligentes Leben neben der Festanstellung". Daraus ein Beispiel, das noch einmal klar macht, was es eigentlich heißen kann: "Ich möchte gar nicht in die Festanstellung". Darin wird ein junger Mensch beschrieben, der Musikkritiken schreibt, eine Musikrichtung, die nicht Mainstream ist auf dem Markt. Das macht sie meistens in Blogs oder auch mal für Berliner Szeneblättchen für einen "Appel und ein Ei", um das im Klartext zu sagen. Davon kann der junge Mensch im Großen und Ganzen nicht leben, aber was er als Honorar empfindet, ist zum Beispiel die Möglichkeit auf einen Kongress in den USA zu genau dieser Musikrichtung als Experte eingeladen zu werden Er kann sozusagen eine USA-Reise damit genießen. Das ist eine Form von Honorierung. Honorierung heißt ja eigentlich Verdienst, aber ganz ursprünglich meinte es tatsächlich nur die immaterielle Zuwendung.

Ich komme zurück zu der Frage: frei oder angestellt? Für viele Kulturberufe hat sich die Frage der Festanstellung noch nie gestellt. Die berühmte brotlose Kunst ist seit Generationen ein gängiger Begriff oder der berühmte arme Poet von Spitzweg wurde Anfang des 19. Jahrhunderts gemalt. Und dass der eine oder andere weltberühmte Komponist als arme Kirchenmaus ins Grab stieg, ist auch allgemein bekannt. Diese Tätigkeiten waren natürlich unter Mäzenatentum möglich, aber für viele Kulturberufe war und ist eine Festanstellung nicht üblich.

Zur finanziellen Situation der Kulturschaffenden: Vorhin fiel der Begriff Künstlersozialkasse (KSK). Ich sage ganz kurz etwas dazu, weil ich gehört habe, dass hier auch Studierende sitzen und sie vielleicht nicht jeder kennt, aber alle, die in diese Berufe gehen, sie kennen sollten. Die Künstlersozialkasse ist ein Konstrukt, über das sich Kulturschaffende, künstlerisch Schaffende vergleichbar Arbeitnehmern zu 50 Prozent ihres Einkommens an den Beiträgen für Krankenkasse, Pflegeversicherung und Rentenversicherung beteiligen. Die anderen 50 Prozent der Beiträge kommen von den Auftraggebern, respektive vom Staat: 30% von den Auftraggebern, 20 Prozent vom Staat. Dieses Konstrukt ist geschaffen worden, weil zwischen Kulturschaffenden und Auftragnehmern eine symbiotische Verbindung besteht. Ein Verlag kann nichts verlegen, wenn niemand für ihn schreibt. Oder eine Zeitung kann nicht erscheinen, wenn keiner einen Artikel schreibt. Ein Fernsehsender kann nicht senden, wenn niemand Beiträge macht. Diese symbiotische Beziehung ist die Begründung dafür, dass die Künstlersozialkasse geschaffen wurde und die Verwerter in die Pflicht genommen wurden. Diese Künstlersozialkasse fragt die Versicherten am Ende eines jeden Jahres, welches Einkommen sie im Folgejahr erwarten und bemisst daran die Beiträge. Man kann davon ausgehen, dass die Einkommen dort reell gemeldet werden, weil auch relativ heftige Prüfungen laufen. Diese gemeldeten Einkünfte liegen bei Kulturschaffenden bei knapp 13.700 Euro im Jahr. Bei Berufsanfängern ganz knapp über 11.000 Euro. Das ist inklusive der noch abzuführenden Sozialversicherungskosten, denn diese sind zu versteuernde Einkommen, die gemeldet werden müssen. Das sind, wenn man es runter rechnet, etwa ein Tausender Monatseinkommen - und das, was aus diesen Einkommen an Rente abgeführt wird über die Künstlersozialkasse in die ganz normale Rentenversicherung, würde für eine auskömmliche Rente real nicht reichen. Schon ein Normalarbeitnehmer, der 2.200 Euro im Monat verdient, käme erst nach 37 Jahren Rentenbeiträgen gerade über die Hartz IV-Grenze. Sicher - es gibt durchaus auch Kolleginnen und Kollegen, die im Jahr 40.000 Euro melden, aber wir reden auch über Kolleginnen und Kollegen die im Jahr 4.000 bis 5.000 Euro melden. Das ist die Schere, in der sich das Einkommen bewegt.

Der Fortbestand der Künstlersozialkasse wurde übrigens mal in einer Anhörung in Frage gestellt. Das haben wir an einem Freitagabend erfahren und haben gesagt: "Leute, das können wir uns nicht bieten lassen", und haben ein Schneeballsystem ins Laufen gebracht und haben gesagt: "Liebe Leute, schreibt noch an diesem Wochenende Mails an die verantwortliche Politikerin im Bundestag." Am nächsten Montagmorgen waren 3.000 individuelle Mails da, in denen Kolleginnen und Kollegen individuell geschrieben haben, was ihnen diese Künstlersozialkasse bedeutet. Bei der Anhörung am Montag, bei der diese Frage gestellt werden sollte, wurde diese zurückgezogen.

Man sieht: Diese Form der sozialen Sicherung ist ganz wichtig. Aber schlimmer noch ist, dass ganz viele Kolleginnen und Kollegen, die KSK-berechtigt wären, entweder davon nichts wissen oder wie so viele andere Menschen in dieser Republik eine gewisse Abneigung gegen die Rentenversicherung haben und sich dort nicht versichern.

Wir haben eine Untersuchung machen lassen unter Kolleginnen und Kollegen, die bei uns im Beratungsnetzwerk für Selbstständige angerufen haben, und wir haben rausbekommen, dass 22 Prozent derjenigen, die KSK-berechtigt wären und auch aufgenommen würden, nicht in der Künstlersozialkasse versichert sind, über keinerlei Renten- und Lebensversicherung und auch über kein Vermögen verfügen oder auch nicht, sagen wir mal, die reiche Ehegattin an der Seite haben. Ungefähr zwölf Prozent aller Selbstständigen haben überhaupt keine Rücklagen fürs Alter.

Dieser Trend dürfte sich seit dieser Untersuchung sogar noch verschärft haben, weil immer mehr Kolleginnen und Kollegen neben ihrer künstlerischen Tätigkeit noch andere Berufe machen müssen, die nicht künstlersozialversicherungsfähig sind. Dann fliegen sie möglicherweise aus der Künstlersozialkasse raus. Das wird vermutlich das Phänomen sein, das vorhin als Problem mit der KSK angesprochen worden ist. Real steigen die Versichertenzahlen ständig, die Prüfungskriterien sind nicht härter geworden. Aber es wird immer schwieriger zu sagen, die Kolleginnen und Kollegen sind rein Kulturschaffende. Das erschwert möglicherweise den Zugang, respektive macht das Rausfliegen leichter. Was das dann bedeutet für die Kosten der sozialen Sicherung außerhalb der Künstlersozialkasse, dürfte dem einen oder anderen hier im Raum vertraut sein. Das heißt, man muss im Monat mindestens 300 Euro für die Kranken- und Pflegeversicherung auf den Tisch legen. Dazu muss man noch schauen, dass man irgendwie für das Alter vorsorgt. Man muss Rücklagen haben für Einkommensausfälle in den ersten Krankheitswochen, weil da niemand für einen zahlt. Und wer sich in der freiwilligen Arbeitslosenversicherung versichert, zahlt ab dem kommenden Jahr monatlich knappe 80 Euro Beitrag. Das alles muss ja erst einmal verdient werden. Das heißt im Klartext: Es schaffen nicht alle. Etwa ein Drittel aller Gründungen gehen in den ersten drei Jahren wieder kaputt. Und etwa 100.000 Freiberuflerinnen und Selbstständige in der Republik beziehen entweder Hartz IV oder aufstockendes Hartz IV. Und unter denen dürfte die Zahl der Kulturschaffenden nicht ganz unerheblich sein.

Wir haben im letzten Jahr eine Broschüre aufgelegt: "Was tun wenn das Geld nicht reicht?" In der Broschüre ging es um die Frage: Wie vermeide ich Hartz IV? Die Auflage von 6000 Exemplaren war innerhalb eines Monats vergriffen. Und das war tatsächlich schwerpunktmäßig im Kulturbereich. Es scheint also ein großes Problem zu sein. Hartz IV heißt übersetzt auch Arbeitslosengeld II. Das ist für Freie im Kulturbereich natürlich eine ganz schön harte Nummer das so zu nennen: Arbeitslosengeld II. Denn Kulturschaffende sind nicht arbeitslos. Sie sind die ganze Zeit in Arbeit - nur sind sie möglicherweise einkommenslos. Sie arbeiten, arbeiten, arbeiten und trotzdem reicht es nicht, da müssten wir vielleicht mal einen Blick auf die Ursachen werfen.

Da gibt es zum Beispiel die Zahlungsmoral der Auftraggeber. Es dauert ein bisschen, bis das Geld kommt. Es dauert auch mal ein bisschen länger, bis das Geld kommt, und man will auch nicht immer drängeln und drängeln. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, das Geld einzutreiben, wären da. Ab dem 30. Tag kann man gut Aufschläge nehmen. Aber wer möchte das schon? Man möchte ja weiterhin für den Auftraggeber arbeiten. Dann ist da das berühmte Phänomen, dass Auftraggeber sagen, ihr Budget sei nicht so groß. Das ist auch eine alte Geschichte: Preise drücken. Und es gibt natürlich auch Auftraggeber, die sagen: "Das zahlen wir gar nicht." Und wenn ich mich als Selbstständige jetzt streiten muss, dann überlege ich mir: Wie stehe ich in der Szene da? Das ist tatsächlich ein Riesenproblem. Ich habe gearbeitet und habe am Ende kein Geld.

Die zweite Frage und die ist etwas höher angesiedelt: auf EU-Ebene ist das berühmte Kartellrecht. Selbstständige und Freiberufler dürfen keine Honorarabsprachen treffen. Jedenfalls nicht offiziell. Natürlich sollt ihr alle miteinander über eure Honorare sprechen, um zu wissen, wer denn eigentlich wie zahlt, und was man für einen Auftrag verlangen kann. Aber so etwas Richtiges wie Honorarempfehlungen, eine richtige Honorarrichtlinie rauszugeben für bestimmte Leistungen, ist den Selbstständigen untersagt. Die haben das gleiche Kartellrecht wie z. B. Vattenfall oder E-on. Die dürfen sich auch nicht absprechen.

Dann ist natürlich ein Punkt ganz entscheidend: Die Frage der Konkurrenz untereinander, dieser schmale Grat zwischen Konkurrenz und Zusammenarbeit. Wie weit können wir da gehen? Die Konkurrenz hat sich in der letzten Zeit erheblich verschärft: Konkurrenz mit Laien. "Kultur" kann jeder, auch Laien, die davon nicht leben müssen. Gerade im Kulturbereich ist das ein beliebtes Phänomen. Ich will jetzt nicht das Klischee der kulturell beschlagenen Hausfrau oder so bedienen. Wie gesagt, es ist gemein, so ein Klischee zu bedienen, aber es gibt es ja.

Dann müssen wir auch nochmal auf folgende Frage gucken: Im Kulturbereich gibt es nicht zu knapp ungeschützte Berufsbilder. Es ist in Ordnung, dass man sich zu bestimmten Dingen autodidaktisch weiterbildet, aber es ist auch eine heikle Geschichte für die Menschen, die davon auch leben wollen und davon leben müssen - professionell.

Dann gibt es unsinnige Massenweiterbildungen. Dazu fällt mir das Stichwort Kulturmanagement ein. Ich gehe relativ oft an Weiterbildungseinrichtungen, um dort über Arbeitswelt zu erzählen. Was da an Kulturmanagern auf den Markt geschmissen wird - so viel Kultur gibt es gar nicht. Die müssten sich jeder einen einzelnen Künstler schnappen und sagen: "Ich kulturmanage dich". Dann fahren die als Tandem durch die Republik und versuchen zu zweit davon zu leben, was der eine macht. Es gab früher eine Zeit lang das Phänomen, dass jeder Journalist wurde - "Fachjournalist". Zwei Monate Aufbaustudiengang - Fachjournalist. Dann Universitäten, die bildende Künstler raushauen. Es ist tatsächlich ein bisschen schwierig Bildung und Weiterbildungen anzubieten, die möglicherweise letztendlich zu keinen ökonomisch tragfähigen Existenzen führen.

Dann ist mit Sicherheit auch ein ganz großer Punkt: die fehlende Zeit für Weiterbildung. Ich bin ja am rackern, aber ich muss mich eigentlich auch weiterbilden, ich muss etwas tun.

Nicht zu vergessen: Die öffentliche Förderung wird zurückgefahren, und zwar massiv. Da kommen solche Einsparungswellen wie die Gesetzgebung zur Schuldenbremse erst noch richtig deftig auf uns zu. Das wird sich im Kulturbereich mit Sicherheit ganz heftig auswirken in den nächsten Jahren. Das ist übrigens der Grund, warum ich in der Gewerkschaft bin: Weil ich denke, da muss so eine Wuchtbrumme wie die Gewerkschaft mit ran, da kann nicht der Einzelne mit ran.

Dann kommt noch ein Punkt dazu. Wir haben vorhin den Begriff Kreativwirtschaft gehört. Wenn es schon um Wirtschaft geht, dann sollte vielleicht die Förderung der Kultur nicht nur aus der Kulturförderung kommen, sondern dann sollte die Förderung auch aus der Wirtschaft kommen. Dann wäre vielleicht ein Weg geebnet, dass auch von da Geld fließt. Der Gag an der Geschichte ist: Die existierenden Förderprogramme sind alle auf Innovationen ausgerichtet, auf sogenannte Innovationen. Ihr sagt natürlich, dass Kultur innovativ ist. Aber der Innovationsbegriff, wie er gesellschaftlich geprägt ist, liegt auf technischen Neuerungen. Also ist es kein Wunder, dass die Software- und Games-Industrie jetzt in dieser Kreativwirtschaft so eine große Rolle spielt, weil da gilt: Das ist ein bisschen Technik und innovativ.

Ich will noch einen Punkt nennen. Viele der Produkte, die von den Kulturschaffenden geschaffen werden, sind nicht marktkonform. Wie viele Bestseller werden jeden Tag geschrieben? Wie viele Kunstwerke werden geschaffen? Das ist natürlich eine schwierige Geschichte mit dem Markt: Wie ist der Markt aufgestellt? Wie kann ich mein Produkt vermarkten? Ein weiteres Schlagwort ist die Frage der Digitalisierung und des Urheberschutzes: Schaffe ich etwas und es wird nicht schlichtweg geklaut, ohne dass mir jemand Geld dafür gibt.

Und dann muss man vielleicht doch auch mal die Kulturschaffenden selbst anschauen. Die sind zwar gute und leidenschaftliche Profis in ihrem Job, aber sie sind zu großen Teilen lausige Betriebswirtschaftler. Das muss man einfach sagen. Das merken wir immer wieder.

Gibt es Perspektiven? Ja, es gibt Perspektiven, oder es gibt Ansätze. Natürlich kann man über solche Fragen wie Mindesthonorarforderung für bestimmte Branchen im Kulturbereich diskutieren. Man kann es zumindest für die Branchen mal andenken, in denen es messbare Ergebnisse gibt. Beispiel: Die berühmten Literaturübersetzer. Die waren damals Maßstab dafür, dass selbst der Gesetzgeber gesagt hat: Der Markt ist so niedergefahren für Literaturübersetzer, dass wir bestimmte angemessene Honorarbeträge für diese Kolleginnen und Kollegen, überhaupt für den Kulturbereich brauchen. Deswegen hat der Gesetzgeber 2002 das sogenannte Urhebervertragsrecht eingeführt, das es erlaubt, eine angemessene Vergütung für urheberrechtliche Leistungen zu verhandeln. Das Problem ist: Ja, sie werden verhandelt, sehr zäh, es geht jetzt schon über neun Jahre und es gibt nur wenige Branchen, in denen das umgesetzt ist. Aber sie müssen von den Einzelnen noch individuell durchgesetzt werden. Für andere Branchen gibt es Ansätze, wie zum Beispiel Ausstellungshonorare zu fordern für bildende Künstler.

Und es gibt natürlich Diskussionen über das Bedingungslose Grundeinkommen. Das ist nicht gerade das, was wir als Gewerkschaft so die ganz tolle Sache finden. Wir meinen, die Leute müssen von ihrer Arbeit leben können. Und Kultur ist etwas wert. Und für Kultur muss gezahlt werden. Das ist für mich ein entscheidender Punkt. Wenn man als Kulturschaffender anerkannt wird, dann ist es eine Frage, wie wir uns aufstellen, wie ihr euch aufstellt.

Vorhin kam schon mal die Zahl: Was wird in dieser Republik eigentlich in dem Bereich an Umsätzen erwirtschaftet? Da sprechen wir tatsächlich von zweistelligen Milliardenbeträgen. Es gibt jetzt z. B. solche Zahlen, die sind verrückt: In der Kreativwirtschaft gibt es 238.300 Unternehmen und Selbstständige. Es werden, wie gesagt, Milliarden umgesetzt. Ich denke, bei diesen Umsätzen müsste doch erheblich mehr von diesem Kuchen auch für die Freiberuflerinnen und Freiberufler abfallen.

Ich denke, die Ausbeutung beginnt nicht bei den Kollegen selbst, sondern sie ist die Folge einer Verteilungsungerechtigkeit in der Branche, und da gilt es hinzuschauen mit allen Verbänden, die da aktiv sind.